1Anmutig Tal! du immergrüner Hain!
2Mein Herz begrüßt euch wieder auf das beste;
3Entfaltet mir die schwer behangnen Äste,
4Nehmt freundlich mich in eure Schatten ein,
5Erquickt von euren Höhn, am Tag der Lieb und Lust,
6Mit frischer Luft und Balsam meine Brust!
7Wie kehrt ich oft mit wechselndem Geschicke,
8Erhabner Berg, an deinen Fuß zurücke.
9O laß mich heut an deinen sachten Höhn
10Ein jugendlich, ein neues Eden sehn!
11Ich hab es wohl auch mit um euch verdienet:
12Ich sorge still, indes ihr ruhig grünet.
13Laßt mich vergessen, daß auch hier die Welt
14So manch Geschöpf in Erdefesseln hält,
15Der Landmann leichtem Sand den Samen anvertraut
16Und seinen Kohl dem frechen Wilde baut,
17Der Knappe karges Brot in Klüften sucht,
18Der Köhler zittert, wenn der Jäger flucht.
19Verjüngt euch mir, wie ihr es oft getan,
20Als fing' ich heut ein neues Leben an.
21Ihr seid mir hold, ihr gönnt mir diese Träume,
22Sie schmeicheln mir und locken alte Reime.
23Mir wieder selbst, von allen Menschen fern,
24Wie bad ich mich in euren Duften gern!
25Melodisch rauscht die hohe Tanne wieder,
26Melodisch eilt der Wasserfall hernieder;
27Die Wolke sinkt, der Nebel drückt ins Tal,
28Und es ist Nacht und Dämmrung auf einmal.
29Im finstern Wald, beim Liebesblick der Sterne,
30Wo ist mein Pfad, den sorglos ich verlor?
31Welch seltne Stimmen hör ich in der Ferne?
32Sie schallen wechselnd an dem Fels empor.
33Ich eile sacht, zu sehn, was es bedeutet,
34Wie von des Hirsches Ruf der Jäger still geleitet.
35Wo bin ich? ist's ein Zaubermärchenland?
36Welch nächtliches Gelag am Fuß der Felsenwand?
37Bei kleinen Hütten, dicht mit Reis bedecket,
38Seh ich sie froh ans Feuer hingestrecket.
39Es dringt der Glanz hoch durch den Fichtensaal;
40Am niedern Herde kocht ein rohes Mahl;
41Sie scherzen laut, indessen, bald geleeret,
42Die Flasche frisch im Kreise wiederkehret.
43Sagt, wem vergleich ich diese muntre Schar?
44Von wannen kommt sie? um wohin zu ziehen?
45Wie ist an ihr doch alles wunderbar! Soll ich sie grüßen?
46Soll ich vor ihr fliehen?
47Ist es der Jäger wildes Geisterheer?
48Sind's Gnomen, die hier Zauberkünste treiben?
49Ich seh im Busch der kleinen Feuer mehr;
50Es schaudert mich, ich wage kaum zu bleiben.
51Ist's der Ägyptier verdächtiger Aufenthalt?
52Ist es ein flüchtiger Fürst wie im Ardennerwald?
53Soll ich Verirrter hier in den verschlungnen Gründen
54Die Geister Shakespeares gar verkörpert finden?
55Ja, der Gedanke führt mich eben recht:
56Sie sind es selbst, wo nicht ein gleich Geschlecht!
57Unbändig schwelgt ein Geist in ihrer Mitten,
58Und durch die Roheit fühl ich edle Sitten.
59Wie nennt ihr ihn? Wer ist's, der dort gebückt
60Nachlässig stark die breiten Schultern drückt?
61Er sitzt zunächst gelassen an der Flamme,
62Die markige Gestalt aus altem Heldenstamme.
63Er saugt begierig am geliebten Rohr,
64Es steigt der Dampf an seiner Stirn empor.
65Gutmütig trocken weiß er Freud und Lachen
66Im ganzen Zirkel laut zu machen,
67Wenn er mit ernstlichem Gesicht
68Barbarisch bunt in fremder Mundart spricht.
69Wer ist der andre, der sich nieder
70An einen Sturz des alten Baumes lehnt
71Und seine langen, feingestalten Glieder
72Ekstatisch faul nach allen Seiten dehnt
73Und, ohne daß die Zecher auf ihn hören,
74Mit Geistesflug sich in die Höhe schwingt
75Und von dem Tanz der himmelhohen Sphären
76Ein monotones Lied mit großer Inbrunst singt?
77Doch scheinet allen etwas zu gebrechen.
78Ich höre sie auf einmal leise sprechen,
79Des Jünglings Ruhe nicht zu unterbrechen,
80Der dort am Ende, wo das Tal sich schließt,
81In einer Hütte, leicht gezimmert,
82Vor der ein letzter Blick des kleinen Feuers schimmert,
83Vom Wasserfall umrauscht, des milden Schlafs genießt.
84Mich treibt das Herz, nach jener Kluft zu wandern,
85Ich schleiche still und scheide von den andern.
86Sei mir gegrüßt, der hier in später Nacht
87Gedankenvoll an dieser Schwelle wacht!
88Was sitzest du entfernt von jenen Freuden?
89Du scheinst mir auf was Wichtiges bedacht.
90Was ist's, daß du in Sinnen dich verlierest
91Und nicht einmal dein kleines Feuer schürest?
92»o frage nicht! denn ich bin nicht bereit,
93Des Fremden Neugier leicht zu stillen;
94Sogar verbitt ich deinen guten Willen;
95Hier ist zu schweigen und zu leiden Zeit.
96Ich bin dir nicht imstande, selbst zu sagen,
97Woher ich sei, wer mich hierher gesandt;
98Von fremden Zonen bin ich her verschlagen
99Und durch die Freundschaft festgebannt.
100Wer kennt sich selbst? Wer weiß, was er vermag?
101Hat nie der Mutige Verwegnes unternommen?
102Und was du tust, sagt erst der andre Tag,
103War es zum Schaden oder Frommen.
104Ließ nicht Prometheus selbst die reine Himmelsglut
105Auf frischen Ton vergötternd niederfließen?
106Und konnt er mehr als irdisch Blut
107Durch die belebten Adern gießen?
108Ich brachte reines Feuer vom Altar;
109Was ich entzündet, ist nicht reine Flamme.
110Der Sturm vermehrt die Glut und die Gefahr,
111Ich schwanke nicht, indem ich mich verdamme.
112Und wenn ich unklug Mut und Freiheit sang
113Und Redlichkeit und Freiheit sonder Zwang,
114Stolz auf sich selbst und herzliches Behagen,
115Erwarb ich mir der Menschen schöne Gunst:
116Doch ach! ein Gott versagte mir die Kunst,
117Die arme Kunst, mich künstlich zu betragen.
118Nun sitz ich hier, zugleich erhoben und gedrückt,
119Unschuldig und gestraft, und schuldig und beglückt.
120Doch rede sacht! denn unter diesem Dach
121Ruht all mein Wohl und all mein Ungemach:
122Ein edles Herz, vom Wege der Natur
123Durch enges Schicksal abgeleitet,
124Das, ahnungsvoll, nun auf der rechten Spur
125Bald mit sich selbst und bald mit Zauberschatten streitet
126Und, was ihm das Geschick durch die Geburt geschenkt,
127Mit Müh und Schweiß erst zu erringen denkt.
128Kein liebevolles Wort kann seinen Geist enthüllen
129Und kein Gesang die hohen Wogen stillen.
130Wer kann der Raupe, die am Zweige kriecht,
131Von ihrem künft'gen Futter sprechen?
132Und wer der Puppe, die im Boden liegt,
133Die zarte Schale helfen durchzubrechen?
134Es kommt die Zeit, sie drängt sich selber los
135Und eilt auf Fittichen der Rose in den Schoß.
136Gewiß, ihm geben auch die Jahre
137Die rechte Richtung seiner Kraft.
138Noch ist bei tiefer Neigung für das Wahre
139Ihm Irrtum eine Leidenschaft.
140Der Vorwitz lockt ihn in die Weite,
141Kein Fels ist ihm zu schroff, kein Steg zu schmal;
142Der Unfall lauert an der Seite
143Und stürzt ihn in den Arm der Qual.
144Dann treibt die schmerzlich überspannte Regung
145Gewaltsam ihn bald da, bald dort hinaus,
146Und von unmutiger Bewegung
147Ruht er unmutig wieder aus.
148Und düster wild an heitern Tagen,
149Unbändig, ohne froh zu sein,
150Schläft er, an Seel und Leib verwundet und zerschlagen,
151Auf einem harten Lager ein:
152Indessen ich hier still und atmend kaum
153Die Augen zu den freien Sternen kehre
154Und, halb erwacht und halb im schweren Traum,
155Mich kaum des schweren Traums erwehre.«
157Wie dank ich, Musen, euch,
158Daß ihr mich heut auf einen Pfad gestellet,
159Wo auf ein einzig Wort die ganze Gegend gleich
160Zum schönsten Tage sich erhellet!
161Die Wolke flieht, der Nebel fällt,
162Die Schatten sind hinweg. Ihr Götter, Preis und Wonne!
163Es leuchtet mir die wahre Sonne,
164Es lebt mir eine schönre Welt;
165Das ängstliche Gesicht ist in die Luft zerronnen,
166Ein neues Leben ist's, es ist schon lang begonnen.
167Ich sehe hier, wie man nach langer Reise
168Im Vaterland sich wiederkennt,
169Ein ruhig Volk in stillem Fleiße
170Benutzen, was Natur an Gaben ihm gegönnt.
171Der Faden eilet von dem Rocken
172Des Webers raschem Stuhle zu;
173Und Seil und Kübel wird in längrer Ruh
174Nicht am verbrochnen Schachte stocken;
175Es wird der Trug entdeckt, die Ordnung kehrt zurück,
176Es folgt Gedeihn und festes ird'sches Glück.
177So mög, o Fürst, der Winkel deines Landes
178Ein Vorbild deiner Tage sein!
179Du kennest lang die Pflichten deines Standes
180Und schränkest nach und nach die freie Seele ein.
181Der kann sich manchen Wunsch gewähren,
182Der kalt sich selbst und seinem Willen lebt;
183Allein wer andre wohl zu leiten strebt,
184Muß fähig sein, viel zu entbehren.
185So wandle du – der Lohn ist nicht gering –
186Nicht schwankend hin, wie jener Sämann ging,
187Daß bald ein Korn, des Zufalls leichtes Spiel,
188Hier auf den Weg, dort zwischen Dornen fiel;
189Nein! streue klug wie reich, mit männlich steter Hand,
190Den Segen aus auf ein geackert Land;
191Dann laß es ruhn: die Ernte wird erscheinen
192Und dich beglücken und die Deinen.