Johann Wolfgang Goethe: Sprichwörtlich (1813)

1Wenn ich den Scherz will ernsthaft nehmen,
2So soll mich niemand drum beschämen;
3Und wenn ich den Ernst will scherzhaft treiben,
4So werd ich immer derselbe bleiben.

5Die Lust zu reden kommt zu rechter Stunde,
6Und wahrhaft fließt das Wort aus Herz und Munde.

7Ich sah mich um an vielen Orten
8Nach lustigen, gescheiten Worten;
9An bösen Tagen mußt ich mich freuen,
10Daß diese die besten Worte verleihen.

11Im neuen Jahre Glück und Heil;
12Auf Weh und Wunden gute Salbe!
13Auf groben Klotz ein grober Keil!
14Auf

15Willst lustig leben,
16Geh mit zwei Säcken,
17Einen zum Geben,
18Einen, um einzustecken.
19Da gleichst du Prinzen,
20Plünderst und beglückst Provinzen.

21Was in der Zeiten Bildersaal
22Jemals ist trefflich gewesen,
23Das wird immer einer einmal
24Wieder auffrischen und lesen.

25Nicht jeder wandelt nur gemeine Stege:
26Du siehst, die Spinnen bauen luft'ge Wege.

27Ein Kranz ist gar viel leichter binden,
28Als ihm ein würdig Haupt zu finden.

29Wie die Pflanzen zu wachsen belieben,
30Darin wird jeder Gärtner sich üben;
31Wo aber des Menschen Wachstum ruht,
32Dazu jeder selbst das Beste tut.

33Willst du dir aber das Beste tun,
34So bleib nicht auf dir selber ruhn,
35Sondern folg eines Meisters Sinn;
36Mit ihm zu irren ist dir Gewinn.

37Benutze redlich deine Zeit!
38Willst was begreifen, such's nicht weit.

39Zwischen heut und morgen
40Liegt eine lange Frist;
41Lerne schnell besorgen,
42Da du noch munter bist.

43Die Dinte macht uns wohl gelehrt,
44Doch ärgert sie, wo sie nicht hingehört.
45Geschrieben Wort ist Perlen gleich;
46Ein Dintenklecks ein böser Streich.

47Wenn man fürs Künftige was erbaut,
48Schief wird's von vielen angeschaut.
49Tust du was für den Augenblick,
50Vor allem opfre du dem Glück.

51Mit einem Herren steht es gut,
52Der, was er befohlen, selber tut.

53Tu nur das Rechte in deinen Sachen;
54Das andre wird sich von selber machen.

55Wenn jemand sich wohl im Kleinen deucht,
56So denke: der hat ein Großes erreicht.

57Glaube nur, du hast viel getan,
58Wenn dir Geduld gewöhnest an.

59Wer sich nicht nach der Decke streckt,
60Dem bleiben die Füße unbedeckt.

61Der Vogel ist froh in der Luft gemütet,
62Wenn es da unten im Neste brütet.

63Wenn ein kluger Mann der Frau befiehlt,
64Dann sei es um ein Großes gespielt;
65Will die Frau dem Mann befehlen,
66So muß sie das Große im Kleinen wählen.

67Welche Frau hat einen guten Mann,
68Der sieht man's am Gesicht wohl an.

69Eine Frau macht oft ein bös Gesicht;
70Der gute Mann verdient's wohl nicht.

71Ein braver Mann! ich kenn ihn ganz genau:
72Erst prügelt er, dann kämmt er seine Frau.

73Ein schönes Ja, ein schönes Nein,
74Nur geschwind! soll mir willkommen sein.

75Januar, Februar, März,
76Du bist mein liebes Herz.
77Mai, Juni, Juli, August,
78Mir ist nichts mehr bewußt.

79Neumond und geküßter Mund
80Sind gleich wieder hell und frisch und gesund.

81Mir gäb es keine größre Pein,
82Wär ich im Paradies allein.

83Es ließe sich alles trefflich schlichten,
84Könnte man die Sachen zweimal verrichten.

85Nur heute, heute nur laß dich nicht fangen,
86So bist du hundertmal entgangen.

87Geht's in der Welt dir endlich schlecht,
88Tu, was du willst, nur habe nicht recht.

89Zücht'ge den Hund, den Wolf magst du peitschen;
90Graue Haare sollst du nicht reizen.

91Am Flusse kannst du stemmen und häkeln;
92Überschwemmung läßt sich nicht mäkeln.

93Tausend Fliegen hatt ich am Abend erschlagen,
94Doch werkte mich

95Und wärst du auch zum fernsten Ort,
96Zur kleinsten Hütte durchgedrungen,
97Was hilft es dir, du findest dort
98Tabak und böse Zungen.

99Wüßte nicht, was sie Bessers erfinden könnten,
100Als wenn die Lichter ohne Putzen brennten.

101Lief' das Brot, wie die Hasen laufen,
102Es kostete viel Schweiß, es zu kaufen.

103Will Vogelfang dir nicht geraten,
104So magst du deinen Schuhu braten.

105Das wär dir ein schönes Gartengelände,
106Wo man den Weinstock mit Würsten bände.

107Du mußt dich niemals mit Schwur vermessen:
108Von dieser Speise will ich nicht essen.

109Wer aber recht bequem ist und faul,
110Flög dem eine gebratne Taube ins Maul,
111Er würde höchlich sich's verbitten,
112Wär sie nicht auch geschickt zerschnitten.

113Freigebig ist der mit seinen Schritten,
114Der kommt, von der Katze Speck zu erbitten.

115Hast deine Kastanien zu lange gebraten;
116Sie sind dir alle zu Kohlen geraten.

117Das sind mir allzu böse Bissen,
118An denen die Gäste erwürgen müssen.

119Das ist eine von den großen Taten,
120Sich in seinem eignen Fett zu braten.

121Gesotten oder gebraten!
122Er ist ans Feuer geraten.

123Gebraten oder gesotten!
124Ihr sollt nicht meiner spotten.
125Was ihr euch heute getröstet,
126Ihr seid doch morgen geröstet.

127Wer Ohren hat, soll hören;
128Wer Geld hat, soll's verzehren.

129Der Mutter schenk ich,
130Die Tochter denk ich.

131Kleid' eine Säule,
132Sie sieht wie eine Fräule.

133Schlaf ich, so schlaf ich mir bequem.
134Arbeit ich, ja, ich weiß nicht wem.

135Ganz und gar
136Bin ich ein armer Wicht.
137Meine Träume sind nicht wahr,
138Und meine Gedanken geraten nicht.

139Mit meinem Willen mag's geschehn! –
140Die Träne wird mir in dem Auge stehn.

141Wohl unglückselig ist der Mann,
142Der unterläßt das, was er kann,
143Und unterfängt sich, was er nicht versteht;
144Kein Wunder, daß er zugrunde geht.

145Du trägst sehr leicht, wenn du nichts hast;
146Aber Reichtum ist eine leichtere Last.

147Alles in der Welt läßt sich ertragen,
148Nur nicht eine Reihe von schönen Tagen.

149Was räucherst du nun deinem Toten?
150Hättst du's ihm so im Leben geboten!

151Ja! wer eure Verehrung nicht kennte:
152Euch, nicht ihm baut ihr Monumente.

153Willst du dich deines Wertes freuen,
154So mußt der Welt du Wert verleihen.

155Will einer in die Wüste pred'gen,
156Der mag sich von sich selbst erled'gen;
157Spricht aber einer zu seinen Brüdern,
158Werden sie's oft schlecht erwidern.

159Laß Neid und Mißgunst sich verzehren,
160Das Gute werden sie nicht wehren.
161Denn, Gott sei Dank! es ist ein alter Brauch:
162So weit die Sonne scheint, so weit erwärmt sie auch.

163Das Interim
164Hat den Schalk hinter ihm.
165Wieviel Schälke muß es geben,
166Da wir alle ad interim leben.

167Was fragst du viel: Wo will's hinaus,
168Wo oder wie kann's enden?
169Ich dächte, Freund, du bliebst zu Haus
170Und sprächst mit deinen Wänden.

171Viele Köche versalzen den Brei;
172Bewahr uns Gott vor vielen Dienern!
173Wir aber sind, gesteht es frei,
174Ein Lazarett von Medizinern.

175Ihr meint, ich hätt mich gewaltig betrogen;
176Hab's aber nicht aus den Fingern gesogen.

177Noch spukt der Babylon'sche Turm,
178Sie sind nicht zu vereinen!
179Ein jeder Mann hat seinen Wurm,
180Kopernikus den seinen.

181Denn bei den alten, lieben Toten
182Braucht man Erklärung, will man Noten.
183Die Neuen glaubt man blank zu verstehn;
184Doch ohne Dolmetsch wird's auch nicht gehn.

185Sie sagen: Das mutet mich nicht an!
186Und meinen, sie hätten's abgetan.

187In meinem Revier
188Sind Gelehrte gewesen,
189Außer ihrem eignen Brevier
190Konnten sie keines lesen.

191Viel Rettungsmittel bietest du! was heißt's?
192Die beste Rettung: Gegenwart des Geists!

193Laß nur die Sorge sein,
194Das gibt sich alles schon;
195Und fällt der Himmel ein,
196Kommt doch eine Lerche davon.

197Dann ist einer durchaus verarmt,
198Wenn die Scham den Schaden umarmt.

199Du treibst mir's gar zu toll.
200Ich fürcht, es breche!
201Nicht jeden Wochenschluß
202Macht Gott die Zeche.

203Du bist sehr eilig, meiner Treu!
204Du suchst die Tür und läufst vorbei.

205Sie glauben, miteinander zu streiten,
206Und fühlen das Unrecht von beiden Seiten.

207Haben's gekauft, es freut sie baß;
208Eh man's denkt, so betrübt sie das.

209Willst du nichts Unnützes kaufen,
210Mußt du nicht auf den Jahrmarkt laufen.

211Langeweile ist ein böses Kraut,
212Aber auch eine Würze, die viel verdaut.

213Wird uns eine rechte Qual zuteil,
214Dann wünschen wir uns Langeweil.

215Daß sie die Kinder erziehen könnten,
216Müßten die Mütter sein wie Enten:
217Sie schwämmen mit ihrer Brut in Ruh;
218Da gehört aber freilich Wasser dazu.

219Das junge Volk, es bildet sich ein,
220Sein Tauftag sollte der Schöpfungstag sein.
221Möchten sie doch zugleich bedenken,
222Was wir ihnen als Eingebinde schenken.

223»nein! heut ist mir das Glück erbost!«
224Du, sattle gut und reite getrost!

225Über ein Ding wird viel geplaudert,
226Viel beraten und lange gezaudert,
227Und endlich gibt ein böses Muß
228Der Sache widrig den Beschluß.

229Eine Bresche ist jeder Tag,
230Die viele Menschen erstürmen.
231Wer auch in die Lücke fallen mag,
232Die Toten sich niemals türmen.

233Wenn einer schiffet und reiset,
234Sammelt er nach und nach immer ein,
235Was sich am Leben mit mancher Pein
236Wieder ausschälet und weiset.

237Der Mensch erfährt, er sei auch, wer er mag,
238Ein letztes Glück und einen letzten Tag.

239Das Glück deiner Tage
240Wäge nicht mit der Goldwaage.
241Wirst du die Krämerwaage nehmen,
242So wirst du dich schämen und dich bequemen.

243Hast du einmal das Rechte getan
244Und sieht ein Feind nur Scheeles daran,
245So wird er gelegentlich, spät oder früh,
246Dasselbe tun, er weiß nicht wie.

247Willst du das Gute tun, mein Sohn,
248So lebe nur lange, da gibt sich's schon;
249Solltest du aber zu früh ersterben,
250Wirst du von Künftigen Dank erwerben.

251Was gibt uns wohl den schönsten Frieden,
252Als frei am eignen Glück zu schmieden.

253Laßt mir die jungen Leute nur,
254Und ergetzt euch an ihren Gaben!
255Es will doch Großmama Natur
256Manchmal einen närrischen Einfall haben.

257Ungebildet waren wir unangenehm;
258Jetzt sind uns die Neuen sehr unbequem.

259Wo Anmaßung mir wohlgefällt?
260An Kindern: denen gehört die Welt.

261Ihr zählt mich immer unter die Frohen,
262Erst lebt ich roh, jetzt unter den Rohen.
263Den Fehler, den man selbst geübt,
264Man auch wohl an dem andern liebt.

265Willst du mit mir hausen,
266So laß die Bestie draußen.

267Wollen die Menschen Bestien sein,
268So bringt nur Tiere zur Stube herein,
269Das Widerwärtige wird sich mindern.
270Wir sind eben alle von Adams Kindern.

271Mit Narren leben wird dir gar nicht schwer,
272Erhalte nur ein Tollhaus um dich her.

273Sag mir, was ein Hypochondrist
274Für ein wunderlicher Kunstfreund ist.
275In Bildergalerien geht er spazieren
276Vor lauter Gemälden, die ihn vexieren.

277Der Hypochonder ist bald kuriert,
278Wenn euch das Leben recht kujoniert.

279Du sollst mit dem Tode zufrieden sein,
280Warum machst du dir das Leben zur Pein?

281Kein tolleres Versehn kann sein,
282Gibst einem ein Fest und lädst ihn nicht ein.

283Da siehst du nun, wie's einem geht,
284Weil sich der Beste von selbst versteht.

285Wenn ein Edler gegen dich fehlt,
286So tu, als hättest du's nicht gezählt:
287Er wird es in sein Schuldbuch schreiben
288Und dir nicht lange im Debet bleiben.

289Suche nicht vergebne Heilung!
290Unsrer Krankheit schwer Geheimnis
291Schwankt zwischen Übereilung
292Und zwischen Versäumnis.

293Ja, schelte nur und fluche fort,
294Es wird sich Beßres nie ergeben.
295Denn Trost ist ein absurdes Wort:
296Wer nicht verzweiflen kann, der muß nicht leben.

297Ich soll nicht auf den Meister schwören
298Und immerfort den Meister hören!
299Nein, ich weiß, er kann nicht lügen,
300Will mich gern mit ihm betriegen.

301Mich freuen die vielen Guten und Tücht'gen,
302Obgleich so viele dazwischenbelfen.
303Die Deutschen wissen zu bericht'gen,
304Aber sie verstehen nicht nachzuhelfen.

305»du kommst nicht ins Ideenland!«
306So bin ich doch am Ufer bekannt.
307Wer die Inseln nicht zu erobern glaubt,
308Dem ist Ankerwerfen doch wohl erlaubt.

309Meine Dichterglut war sehr gering,
310Solang ich dem Guten entgegenging;
311Dagegen brannte sie lichterloh,
312Wenn ich vor drohendem Übel floh.

313Zart Gedicht, wie Regenbogen,
314Wird nur auf dunklen Grund gezogen;
315Darum behagt dem Dichtergenie
316Das Element der Melancholie.

317Kaum hatt ich mich in die Welt gespielt
318Und fing an aufzutauchen,
319Als man mich schon so vornehm hielt,
320Mich zu mißbrauchen.

321Wer dem Publikum dient, ist ein armes Tier;
322Er quält sich ab, niemand bedankt sich dafür.

323Gleich zu sein unter Gleichen,
324Das läßt sich schwer erreichen:

325Du müßtest ohne Verdrießen
326Wie der Schlechteste zu sein dich entschließen.

327Man kann nicht immer zusammen stehn,
328Am wenigsten mit großen Haufen.
329Seine Freunde, die läßt man gehn,
330Die Menge läßt man laufen.

331Du magst an dir das Falsche nähren,
332Allein wir lassen uns nicht stören;
333Du kannst uns loben, kannst uns schelten,
334Wir lassen es nicht für das Rechte gelten.

335Man soll sich nicht mit Spöttern befassen;
336Wer will sich für 'nen Narren halten lassen!
337Darüber muß man sich aber zerreißen,
338Daß man Narren nicht darf Narren heißen.

339Christkindlein trägt die Sünden der Welt,
340Sankt Christoph das Kind über Wasser hält,
341Sie haben es beid' uns angetan,
342Es geht mit uns von vornen an.

343Efeu und ein zärtlich Gemüt
344Heftet sich an und grünt und blüht.
345Kann es weder Stamm noch Mauer finden,
346Es muß verdorren, es muß verschwinden.

347Zierlich Denken und süß Erinnern
348Ist das Leben im tiefsten Innern.

349Ich träumt und liebte sonnenklar;
350Daß ich lebte, ward ich gewahr.

351Wer recht will tun, immer und mit Lust,
352Der hege wahre Lieb in Sinn und Brust.

353»wann magst du dich am liebsten bücken?«
354Dem Liebchen Frühlingsblume zu pflücken.

355Doch das ist gar kein groß Verdienst,
356Denn Liebe bleibt der höchste Gewinst.

357Die Zeit, sie mäht so Rosen als Dornen,
358Aber das treibt immer wieder von vornen.

359Genieße, was der Schmerz dir hinterließ!
360Ist Not vorüber, sind die Nöte süß.

361Glückselig ist, wer Liebe rein genießt,
362Weil doch zuletzt das Grab so Lieb als Haß verschließt.

363Viele Lieb hab ich erlebet,
364Wenn ich liebelos gestrebet;
365Und Verdrießliches erworben,
366Wenn ich fast für Lieb gestorben.
367So du es zusammengezogen,
368Bleibet Saldo dir gewogen.

369Tut dir jemand was zulieb,
370Nur geschwinde, gib nur, gib.
371Wenige getrost erwarten
372Dankesblume aus stillem Garten.

373Doppelt gibt, wer gleich gibt,
374Hundertfach, der gleich gibt,
375Was man wünscht und liebt.

376»warum zauderst du so mit deinen Schritten?«
377Nur ungern mag ich ruhn,
378Will ich aber was Gutes tun,
379Muß ich erst um Erlaubnis bitten.

380Was willst du lange vigilieren,
381Dich mit der Welt herumvexieren?
382Nur Heiterkeit und grader Sinn
383Verschafft dir endlichen Gewinn.

384Wem wohl das Glück die schönste Palme beut?
385Wer freudig tut, sich des Getanen freut.

386Gleich ist alles versöhnt,
387Wer redlich ficht, wird gekrönt.

388Du wirkest nicht, alles bleibt so stumpf.
389Sei guter Dinge!
390Der Stein im Sumpf
391Macht keine Ringe.

392In des Weinstocks herrliche Gaben
393Gießt ihr mir schlechtes Gewässer!
394Ich soll immer unrecht haben
395Und weiß es besser.

396Was ich mir gefallen lasse?
397Zuschlagen muß die Masse,
398Dann ist sie respektabel,
399Urteilen gelingt ihr miserabel.

400Es ist sehr schwer oft zu ergründen,
401Warum wir das angefangen;
402Wir müssen oft Belohnung finden,
403Daß es uns schlecht ergangen.

404Seh ich an andern große Eigenschaften
405Und wollen die an mir auch haften,
406So werd ich sie in Liebe pflegen;
407Geht's nicht, so tu ich was anders dagegen.

408Ich, Egoist! – Wenn ich's nicht besser wüßte!
409Der Neid, das ist der Egoiste;
410Und was ich auch für Wege geloffen,
411Auf 'm Neidpfad habt ihr mich nie betroffen.

412Nicht über Zeit- noch Landgenossen
413Mußt du dich beklagen;
414Nachbarn werden ganz andere Possen,
415Und auch Künftige, über dich sagen.

416Im Vaterlande
417Schreibe, was dir gefällt:
418Da sind Liebesbande,
419Da ist deine Welt.

420Draußen zu wenig oder zu viel,
421Zu Hause nur ist Maß und Ziel.

422Warum werden die Dichter beneidet?
423Weil Unart sie zuweilen kleidet,
424Und in der Welt ist's große Pein,
425Daß wir nicht dürfen unartig sein.

426So kommt denn auch das Dichtergenie
427Durch die Welt und weiß nicht wie.
428Guten Vorteil bringt ein heitrer Sinn;
429Andern zerstört Verlust den Gewinn.

430»immer denk ich: mein Wunsch ist erreicht,
431Und gleich geht's wieder anders her!«
432Zerstückle das Leben, du machst dir's leicht;
433Vereinige es, und du machst dir's schwer.

434»bist du denn nicht auch zugrunde gerichtet?
435Von deinen Hoffnungen trifft nichts ein!«
436Die Hoffnung ist's, die sinnet und dichtet,
437Und da kann ich noch immer lustig sein.

438Nicht alles ist an eins gebunden,
439Seid nur nicht mit euch selbst im Streit!

440Mit Liebe endigt man, was man erfunden;
441Was man gelernt, mit Sicherheit.

442Wer uns am strengsten kritisiert?
443Ein Dilettant, der sich resigniert.

444Durch Vernünfteln wird Poesie vertrieben,
445Aber sie mag das Vernünftige lieben.

446»wo ist der Lehrer, dem man glaubt?«
447Tu, was dir dein kleines Gemüt erlaubt.

448Glaubst dich zu kennen, wirst Gott nicht erkennen,
449Auch wohl das Schlechte göttlich nennen.

450Wer Gott ahnet, ist hochzuhalten,
451Denn er wird nie im Schlechten walten.

452Macht's einander nur nicht sauer,
453Hier sind wir gleich, Baron und Bauer.

454Warum uns Gott so wohl gefällt?
455Weil er sich uns nie in den Weg stellt.

456Wie wollten die Fischer sich nähren und retten,
457Wenn die Frösche sämtlich Zähne hätten?

458Wie Kirschen und Beeren behagen,
459Mußt du Kinder und Sperlinge fragen.

460»warum hat dich das schöne Kind verlassen?«
461Ich kann sie darum doch nicht hassen:
462Sie schien zu fürchten und zu fühlen,
463Ich werde das Prävenire spielen.

464Glaube mir gar und ganz,
465Mädchen, laß deine Bein' in Ruh,
466Es gehört mehr zum Tanz
467Als rote Schuh'.

468Was ich nicht weiß,
469Macht mich nicht heiß.
470Und was ich weiß,
471Machte mich heiß,
472Wenn ich nicht wüßte'
473Wie's werden müßte.

474Oft, wenn dir jeder Trost entflieht,
475Mußt du im stillen dich bequemen.
476Nur dann, wenn dir Gewalt geschieht,
477Wird die Menge an dir Anteil nehmen;
478Ums Unrecht, das dir widerfährt,
479Kein Mensch den Blick zur Seite kehrt.

480Was ärgerst du dich über fälschlich Erhobne!
481Wo gäb es denn nicht Eingeschobne?

482Worauf alles ankommt? Das ist sehr simpel!
483Vater, verfüge, eh's dein Gesind spürt!
484Dahin oder dorthin flattert ein Wimpel,
485Steuermann weiß, wohin euch der Wind führt.

486Eigenheiten, die werden schon haften;
487Kultiviere deine Eigenschaften.

488Viel Gewohnheiten darfst du haben,
489Aber keine Gewohnheit!
490Dies Wort unter des Dichters Gaben
491Halte nicht für Torheit.

492Das Rechte, das ich viel getan,
493Das ficht mich nun nicht weiter an,
494Aber das Falsche, das mir entschlüpft,
495Wie ein Gespenst mir vor Augen hüpft.

496Gebt mir zu tun,
497Das sind reiche Gaben!
498Das Herz kann nicht ruhn,
499Will zu schaffen haben.

500Ihrer viele wissen viel,
501Von der Weisheit sind sie weit entfernt.
502Andre Leute sind euch ein Spiel;
503Sich selbst hat niemand ausgelernt.

504»man hat ein Schimpflied auf dich gemacht;
505Es hat's ein böser Feind erdacht.«

506Laß sie's nur immer singen,
507Denn es wird bald verklingen.

508Dauert nicht so lang in den Landen
509Als das: Christ ist erstanden.

510Das dauert schon achtzehnhundert Jahr'
511Und ein paar drüber, das ist wohl wahr!

512Wer ist denn der souveräne Mann?
513Das ist bald gesagt:
514Der, den man nicht hindern kann,
515Ob er nach Gutem oder Bösem jagt.

516Entzwei' und gebiete! Tüchtig Wort;
517Verein' und leite! Beßrer Hort.

518Magst du einmal mich hintergehen,
519Merk ich's, so laß ich's wohl geschehen;
520Gestehst du mir's aber ins Gesicht,
521In meinem Leben verzeih ich's nicht.

522Nicht größern Vorteil wüßt ich zu nennen,
523Als des Feindes Verdienst erkennen.

524»hat man das Gute dir erwidert?«
525Mein Pfeil flog ab, sehr schön befiedert,
526Der ganze Himmel stand ihm offen,
527Er hat wohl irgendwo getroffen.

528»was schnitt dein Freund für ein Gesicht?«
529Guter Geselle, das versteh ich nicht.
530Ihm ist wohl sein Süß Gesicht verleidet,
531Daß er heut saure Gesichter schneidet.

532Ihr sucht die Menschen zu benennen
533Und glaubt am Namen sie zu kennen.
534Wer tiefer sieht, gesteht sich frei,
535Es ist was Anonymes dabei.

536»mancherlei hast du versäumet:
537Statt zu handeln, hast geträumet,
538Statt zu danken, hast geschwiegen,
539Solltest wandern, bliebest liegen.«

540Nein, ich habe nichts versäumet!
541Wißt ihr denn, was ich geträumet?
542Nun will ich zum Danke fliegen,
543Nur mein Bündel bleibe liegen.

544Heute geh ich. Komm ich wieder,
545Singen wir ganz andre Lieder.
546Wo so viel sich hoffen läßt,
547Ist der Abschied ja ein Fest.

548Was soll ich viel lieben, was soll ich viel hassen;
549Man lebt nur vom Lebenlassen.

550Nichts leichter, als dem Dürftigen schmeicheln;
551Wer mag aber ohne Vorteil heucheln.

552»wie konnte der
553Er ist auf Fingerchen gegangen.

554Sprichwort bezeichnet Nationen;
555Mußt aber erst unter ihnen wohnen.

556Erkenne dich! – Was soll das heißen?
557Es heißt: Sei nur! und sei auch nicht!
558Es ist eben ein Spruch der lieben Weisen,
559Der sich in der Kürze widerspricht.

560Erkenne dich! – Was hab ich da für Lohn?
561Erkenn ich mich, so muß ich gleich davon.

562Als wenn ich auf den Maskenball käme
563Und gleich die Larve vom Angesicht nähme.

564Andre zu kennen, das mußt du probieren,
565Ihnen zu schmeicheln oder sie zu vexieren.

566»warum magst du gewisse Schriften nicht lesen?«
567Das ist auch sonst meine Speise gewesen;
568Eilt aber die Raupe, sich einzuspinnen,
569Nicht kann sie mehr Blättern Geschmack abgewinnen.

570Was dem Enkel so wie dem Ahn frommt,
571Darüber hat man viel geträumet;
572Aber worauf eben alles ankommt,
573Das wird vom Lehrer gewöhnlich versäumet.

574Verweile nicht, und sei dir selbst ein Traum,
575Und wie du reisest, danke jedem Raum,
576Bequeme dich dem Heißen wie dem Kalten;
577Dir wird die Welt, du wirst ihr nie veralten.

578Ohne Umschweife
579Begreife,
580Was dich mit der Welt entzweit;
581Nicht will sie Gemüt, will Höflichkeit.

582Gemüt muß verschleifen,
583Höflichkeit läßt sich mit Händen greifen.

584Was eben wahr ist allerorten,
585Das sag ich mit ungescheuten Worten.

586Nichts taugt Ungeduld,
587Noch weniger Reue;
588Jene vermehrt die Schuld,
589Diese schafft neue.

590Daß von diesem wilden Sehnen,
591Dieser reichen Saat von Tränen
592Götterlust zu hoffen sei,
593Mache deine Seele frei!

594Der entschließt sich doch gleich,
595Den heiß ich brav und kühn!
596Er springt in den Teich,
597Dem Regen zu entfliehn.

598Daß Glück ihm günstig sei,
599Was hilft's dem Stöffel?
600Denn regnet's Brei,
601Fehlt ihm der Löffel.

602Dichter gleichen Bären,
603Die immer an eignen Pfoten zehren.

604Die Welt ist nicht aus Brei und Mus geschaffen,
605Deswegen haltet euch nicht wie Schlaraffen;
606Harte Bissen gibt es zu kauen:
607Wir müssen erwürgen oder sie verdauen.

608Ein kluges Volk wohnt nah dabei,
609Das immerfort sein Bestes wollte;
610Es gab dem niedrigen Kirchturm Brei,
611Damit er größer werden sollte.

612Sechsundzwanzig Groschen gilt mein Taler!
613Was heißt ihr mich denn einen Prahler?
614Habt ihr doch andre nicht gescholten,
615Deren Groschen einen Taler gegolten.

616Niederträchtigers wird nichts gereicht,
617Als wenn der Tag den Tag erzeugt.

618Was hat dir das arme Glas getan?
619Sieh deinen Spiegel nicht so häßlich an.

620Liebesbücher und Jahrgedichte
621Machen bleich und hager;
622Frösche plagten, sagt die Geschichte,
623Pharaonem auf seinem Lager.

624So schließen wir, daß in die Läng
625Euch nicht die Ohren gellen,
626Vernunft ist hoch, Verstand ist streng,
627Wir rasseln drein mit Schellen.

628Diese Worte sind nicht alle in Sachsen
629Noch auf meinem eignen Mist gewachsen,
630Doch was für Samen die Fremde bringt,
631Erzog ich im Lande gut gedüngt.

632Und selbst den Leuten du bon ton
633Ist dieses Büchlein lustig erschienen:
634Es ist kein Globe de compression,
635Sind lauter Flatterminen.

(Aus: Haider, Thomas. A Large Annotated Reference Corpus of New High German Poetry. In: Proceedings of the 2024 Joint International Conference on Computational Linguistics, Language Resources and Evaluation (LREC-COLING 2024), S. 677–683, Torino, Italia. ELRA and ICCL. 2024.)

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Dieses Gedicht könnte aus folgender Literaturepoche stammen:
Author

Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)

* 08/28/1749 in Frankfurt am Main, † 03/22/1832 in Weimar

männlich, geb. Goethe

natürliche Todesursache - Herzinfarkt

deutscher Dichter, Dramatiker, Naturforscher und Politiker (1749–1832)

(Aus: Wikidata.org)

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