Johann Wolfgang Goethe: Monolog aus Byrons Manfred (1819)

1Der Zeit, des Schreckens Narren sind wir! Tage,
2Bestehlend stehlen sie sich weg. Wir leben
3In Lebens Überdruß, in Scheu des Todes.
4In all den Tagen der verwünschten Posse –
5Lebendige Last auf widerstrebendem Herzen,
6In Sorgen stockt es, heftig schlägt's in Pein,
7Der Freud ein End ist Todeskampf und Ohnmacht –,
8In all den Tagen, den vergangnen, künftigen –
9Im Leben ist nichts Gegenwart – du zählst
10Wie wenig: weniger als wenig, wo die Seele
11Nicht nach dem Tod verlangt und doch zurück
12Wie vor dem Winterstrome schreckt. Das Fröstlen
13Wär nur ein Augenblick. – Ich hab ein Mittel
14In meiner Wissenskraft: die Toten ruf ich
15Und frage sie: Was ist denn, das wir fürchten?
16Der Antwort ernsteste ist doch das Grab.
17Und das ist nichts, antworten sie mir nicht –

18Antwortete begrabner Priester Gottes
19Dem Weib zu Endor! Spartas König zog
20Aus griech'scher Jungfrau nie entschlafnem Geist
21Antwort und Schicksal. Das Geliebteste
22Hatt er gemordet, wußte nicht, wen er traf;
23Starb ungesühnt. Wenn er auch schon zu Hülfe
24Den milden Zeus berief, Phigaliens
25Arkadische Beschwörer aufrief, zu gewinnen
26Vom aufgebrachten Schatten sein Verzeihen,
27Auch eine Grenze nur des Rächens. Die versetzte
28Mit zweifelhaftem Wortsinn; doch erfüllt ward's.

29Und hätt ich nie gelebt! das, was ich liebe,
30Wäre noch lebendig; hätt ich nie geliebt!
31Das, was ich liebe, wär noch immer schön
32Und glücklich, glückverspendend. Und was aber,
33Was ist sie jetzt? Für meine Sünden büßte sie –
34Ein Wesen? Denk es nicht – vielleicht ein Nichts.
35In wenig Stunden frag ich nicht umsonst,
36In dieser Stunde fürcht ich, wie ich trotze,
37Bis diese Stunde schreckte mich kein Schauen
38Der Geister, guter, böser. Zittr' ich nun?
39Und fühl am Herzen fremden, kalten Tau!
40Doch kann ich tun, was mich im Tiefsten widert,
41Der Erde Schrecken ruf ich auf. – Eis nachtet!

(Aus: Haider, Thomas. A Large Annotated Reference Corpus of New High German Poetry. In: Proceedings of the 2024 Joint International Conference on Computational Linguistics, Language Resources and Evaluation (LREC-COLING 2024), S. 677–683, Torino, Italia. ELRA and ICCL. 2024.)

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Dieses Gedicht könnte aus folgender Literaturepoche stammen:
Author

Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)

* 08/28/1749 in Frankfurt am Main, † 03/22/1832 in Weimar

männlich, geb. Goethe

natürliche Todesursache - Herzinfarkt

deutscher Dichter, Dramatiker, Naturforscher und Politiker (1749–1832)

(Aus: Wikidata.org)

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