1Ich fand mein Mädchen einst allein
2Am Abend so, wie ich sie selten finde.
3Entkleidet sah ich sie; dem guten Kinde
4Fiel es nicht ein,
5Daß ich so nahe bei ihr sein,
6Neugierig sie betrachten könnte.
7Was sie mir nie zu sehn vergönnte,
8Des Busens volle Blüten wies
9Sie dem verschwiegnen, kalten Spiegel, ließ
10Das Haar geteilt von ihrem Scheitel fallen,
11Wie Rosenzweig' um Knospen, um den Busen wallen.
12Ganz außer mir vom niegefundnen Glück
13Sprang ich hervor. Jedoch wie schmollte
14Sie, da ich sie umarmen wollte.
15Zorn sprach ihr furchtsam wilder Blick,
16Die eine Hand stieß mich zurück,
17Die andre deckte das, was ich nicht sehen sollte.
18»geh!« rief sie, »soll ich deine Kühnheit dir
19Verzeihen; eile weg von hier.«
20Ich fliehn? Von heißer Glut durchdrungen –
21Ohnmöglich – Diese schöne Zeit
22Von sich zu stoßen! Die Gelegenheit
23Kömmt nicht so leicht zurück. Voll Zärtlichkeit
24Den Arm um ihren Hals gezwungen, stand
25Ich neben ihrem Sessel, meine warme Hand
26Auf ihrem heißen Busen, den zuvor
27Sie nie berühret. Hoch empor
28Stieg er und trug die Hand mit sich empor,
29Dann sank mit einem tiefen Atemzug er wieder
30Und zog die Hand mit sich hernieder.
31So stand Dianens Jäger mutig da,
32Triumph gen Himmel hauchend, als er sah,
33Was ungestraft kein Sterblicher noch sah.
34Mein Mädchen schwieg und sah mich an; ein Zeichen,
35Die Grausamkeit fing' an, sich zu erweichen,
36Geschmolzen durch die Fühlbarkeit.
37O Mädchen, soll mit list'gen Streichen
38Kein Jüngling seinen Zweck erreichen,
39So müßt ihr niemals ruhig schweigen,
40Wenn ihr mit ihm alleine seid.
41Mein Arm umschlang mit angestrengten Sehnen
42Die weiche Hüfte. Fast – fast – doch des Sieges Lauf
43Hielt schnell ein glühnder Strom von Tränen
44Unwiderstehlich auf.
45Sie stürzt' mir um den Hals, rief schluchsend: »Rette
46Mich Unglückselige, die niemand retten kann
47Als du, Geliebter. Gott! ach hätte
48Dir nie dies Herz gebrannt! Ich sah dich, da begann
49Mein Elend; bald, bald ist's vollendet.
50O Mutter, welchen Lohn
51Gab ich den treuen Lehren, die du mir verschwendet,
52Dies Herz zu bilden! Mußte sich dein Drohn
53So fürchterlich erfüllen:
54Würd ich eine Tat
55Vor dir verhüllen,
56Deinen Rat
57Verachten, selbst mich weise dünken,
58Würd ich versinken.
59Ich sinke schon; o rette mich! –
60Sei stark, mein Freund, o rette dich!
61Wir beide sind verloren – Freund, Erbarmen!«
62Noch hielt ich sie in meinen Armen.
63Sie sah voll Angst rings um sich her.
64Wie Wellen auf dem Meer,
65Des Grund erbebte, schlug die Brust, dem Munde
66Entrauscht' ein Sturm. Sie seufzte: »Unschuld – ach, wie klang
67Dies Wort so lieblich, wenn in mitternächt'ger Stunde
68An meinem Haupt es mir mein Engel sang.
69Jetzt rauscht's wie ein Gewitterton vorüber.«
70Sie rief's. Es ward ihr Auge trüber,
71Sah sternenan. Sie betet': »Sieh
72Aus deiner Unschuldswohnung, Herr, auf mich herüber,
73Erbarme dich! Entzieh
74Der reißenden Gefahr mich. Du
75Vermagst's allein; der ist zu schwach dazu,
76Der Mensch, zu dem ich vor dir betete.«
77Naht euch, Verführer, deren Wange nie
78Von heil'gem Graun errötete,
79Wenn eure Hand gefühllos, wie
80Die Schnitter Blumen, Unschuld tötete,
81Und euer Siegerfuß, darüber tretend, sie
82Durch Hohn zum zweiten Male tötete,
83Naht euch. Betrachtet hie
84Der Vielgeliebten Tränen rollen;
85Hört ihre Seufzer, hört die feuervollen
86Gebete. Wehe dem, der dann
87Noch einen Wunsch zu ihrem Elend wollen,
88Noch einen Schritt zum Raube wagen kann!
89Es sank mein Arm, aus ihm zur Erd sie nieder,
90Ich betet, weint und riß mich los und floh.
91Den nächsten Tag fand ich sie wieder
92Bei ihrer Mutter, als sie froh
93Der freudbetränten Mutter Unschuldslieder
94Mit Engelstimmen sang.
95O Gott, wie drang ein Wonnestrahl durchs Herz mir! Nieder
96Zur Erde blickend stand
97Ich da. Sie faßt' mich bei der Hand,
98Führt' mich vertraulich auf die Seite
99Und sprach: »Dank es dem harten Streite,
100Daß du zur Sonn unschuldig blickst,
101Beim Anblick jener Heil'gen nicht erschrickst,
102Mich nicht verachtend von dir schickst.
103Freund, dieses ist der Tugend Lohn;
104O wärst du gestern tränend nicht entflohn,
105Du sähst mich heute
106Und ewig nie mit Freude.«