1Sie werden Alle wie aus einem Bade
2aus ihren mürben Grüften auferstehn;
3denn alle glauben an das Wiedersehn,
4und furchtbar ist ihr Glauben, ohne Gnade.
5Sprich leise, Gott! Es könnte einer meinen,
6daß die Posaune deiner Reiche rief;
7und ihrem Ton ist keine Tiefe tief:
8da steigen alle Zeiten aus den Steinen,
9und alle die Verschollenen erscheinen
10in welken Leinen, brüchigen Gebeinen
11und von der Schwere ihrer Schollen schief.
12Das wird ein wunderliches Wiederkehren
13in eine wunderliche Heimat sein;
14auch die dich niemals kannten, werden schrein
15und deine Größe wie ein Recht begehren:
16wie Brot und Wein.
17Allschauender, du kennst das wilde Bild,
18das ich in meinem Dunkel zitternd dichte.
19Durch dich kommt Alles, denn du bist das Tor, –
20und Alles war in deinem Angesichte,
21eh es in unserm sich verlor.
22Du kennst das Bild vom riesigen Gerichte:
23Ein Morgen ist es, doch aus einem Lichte,
24das deine reife Liebe nie erschuf,
25ein Rauschen ist es, nicht aus deinem Ruf,
26ein Zittern, nicht von göttlichem Verzichte,
27ein Schwanken, nicht in deinem Gleichgewichte.
28Ein Rascheln ist und ein Zusammenraffen
29in allen den geborstenen Gebäuden,
30ein Sichentgelten und ein Sichvergeuden,
31ein Sichbegatten und ein Sichbegaffen,
32und ein Betasten aller alten Freuden
33und aller Lüste welke Wiederkehr.
34Und über Kirchen, die wie Wunden klaffen,
35ziehn schwarze Vögel, die du nie erschaffen,
36in irren Zügen hin und her.
37So ringen sie, die lange Ausgeruhten,
38und packen sich mit ihren nackten Zähnen
39und werden bange, weil sie nicht mehr bluten,
40und suchen, wo die Augenbecher gähnen,
41mit kalten Fingern nach den toten Tränen.
42Und werden müde. Wenige Minuten
43nach ihrem Morgen bricht ihr Abend ein.
44Sie werden ernst und lassen sich allein
45und sind bereit, im Sturme aufzusteigen,
46wenn sich auf deiner Liebe heitrem Wein
47die dunklen Tropfen deines Zornes zeigen,
48um deinem Urteil nah zu sein.
49Und da beginnt es, nach dem großen Schrein:
50das übergroße fürchterliche Schweigen.
51Sie sitzen alle wie vor schwarzen Türen
52in einem Licht, das sie, wie mit Geschwüren,
53mit vielen grellen Flecken übersät.
54Und wachsend wird der Abend alt und spät.
55Und Nächte fallen dann in großen Stücken
56auf ihre Hände und auf ihren Rücken,
57der wankend sich mit schwarzer Last belädt.
58Sie warten lange. Ihre Schultern schwanken
59unter dem Drucke wie ein dunkles Meer,
60sie sitzen, wie versunken in Gedanken,
61und sind doch leer.
62Was stützen sie die Stirnen?
63Ihre Gehirne denken irgendwo
64tief in der Erde, eingefallen, faltig:
65Die ganze alte Erde denkt gewaltig,
66und ihre großen Bäume rauschen so.
67Allschauender, gedenkst du dieses bleichen
68Und bangen Bildes, das nicht seinesgleichen
69unter den Bildern deines Willens hat?
70Hast du nicht Angst vor dieser stummen Stadt,
71die, an dir hangend wie ein welkes Blatt,
72sich heben will zu deines Zornes Zeichen?
73O, greife allen Tagen in die Speichen,
74daß sie zu bald nicht diesem Ende nahen, –
75vielleicht gelingt es dir noch auszuweichen
76dem großen Schweigen, das wir beide sahen.
77Vielleicht kannst du noch einen aus uns heben,
78der diesem fürchterlichen Wiederleben
79den Sinn, die Sehnsucht und die Seele nimmt,
80einen, der bis in seinen Grund ergrimmt
81und dennoch froh, durch alle Dinge schwimmt,
82der Kräfte unbekümmerter Verbraucher,
83der sich auf allen Saiten geigt
84und unversehrt als unerkannter Taucher
85in alle Tode niedersteigt.
86..... Oder, wie hoffst du diesen Tag zu tragen,
87der länger ist als aller Tage Längen,
88mit seines Schweigens schrecklichen Gesängen,
89wenn dann die Engel dich, wie lauter Fragen,
90mit ihrem schauerlichen Flügelschlagen
91umdrängen?
92Sieh, wie sie zitternd in den Schwingen hängen
93und dir mit hunderttausend Augen klagen,
94und ihres sanften Liedes Stimmen wagen
95sich aus den vielen wirren Übergängen
96nicht mehr zu heben zu den klaren Klängen.
97Und wenn die Greise mit den breiten Bärten,
98die dich berieten bei den besten Siegen,
99nur leise ihre weißen Häupter wiegen,
100und wenn die Frauen, die den Sohn dir nährten,
101und die von ihm Verführten, die Gefährten,
102und alle Jungfraun, die sich ihm gewährten:
103die lichten Birken deiner dunklen Gärten, –
104wer soll dir helfen, wenn sie alle schwiegen?
105Und nur dein Sohn erhübe sich unter denen,
106welche sitzen um deinen Thron.
107Grübe sich deine Stimme dann in sein Herz?
108Sagte dein einsamer Schmerz dann:
109Sohn!
110Suchtest du dann das Angesicht
111dessen, der das Gericht gerufen,
112dein Gericht und deinen Thron:
113Sohn!
114Hießest du, Vater, dann deinen Erben,
115leise begleitet von Magdalenen,
116niedersteigen zu jenen,
117die sich sehnen, wieder zu sterben?
118Das wäre dein letzter Königserlaß,
119die letzte Huld und der letzte Haß.
120Aber dann käme Alles zu Ruh:
121der Himmel und das Gericht und du.
122Alle Gewänder des Rätsels der Welt,
123das sich so lange verschleiert hält,
124fallen mit dieser Spange.
125.... Doch mir ist bange....
126Allschauender, sieh, wie mir bange ist,
127miß meine Qual!
128Mir ist bange, daß du schon lange vergangen bist.
129Als du zum erstenmal
130in deinem Alleserfassen
131das Bild dieses blassen
132Gerichtes sahst,
133dem du dich hülflos nahst, Allschauender.
134Bist du damals entflohn?
135Wohin?
136Vertrauender
137kann keiner dir kommen
138als ich,
139der ich dich
140nicht um Lohn
141verraten will wie alle die Frommen.
142Ich will nur, weil ich verborgen bin
143und müde wie du, noch müder vielleicht,
144und weil meine Angst vor dem großen Gericht
145deiner gleicht,
146will ich mich dicht,
147Gesicht bei Gesicht,
148an dich heften;
149mit einigen Kräften
150werden wir wehren dem großen Rade,
151über welches die mächtigen Wasser gehn,
152die rauschen und schnauben –
153denn: wehe, sie werden auferstehn.
154So ist ihr Glauben: groß und ohne Gnade.