Adelbert von Chamisso: Hans im Glücke (1809)

1Willst zurück zu deiner Mutter?
2Hans, du bist ein braver Sohn;
3Hast gedient mir treu und redlich;
4Wie die Dienste, so der Lohn;
5Gebe dir zu deinem Sold
6Diesen Klumpen da von Gold;
7Bist du mit dem Lohn zufrieden,
8Hans im Glücke?

9Ja, zufrieden! und die Mutter,
10Ja, die gute Mutter soll
11Mich beloben und sich freuen,
12Alle Hände bring ich voll;
13Alles, alles trifft mir ein,
14Muß ein Sonntagskind wohl sein,
15Und auf Glückeshaut geboren,
16Hans im Glücke!

17Und er ziehet seine Straße
18Rüstig, frisch und frohgesinnt,
19Doch es sticht ihn bald die Sonne,
20Die zu steigen schon beginnt,
21Und der Klumpen Gold ist schwer,
22Drückt die Schulter gar zu sehr;
23Du erliegest unterm Golde,
24Hans im Glücke!

25Kommt ein Reiter ihm entgegen; –
26Schimmel! ei, du muntres Tier!
27Aber schleppen muß ich, schleppen
28Den verwünschten Klumpen hier;
29So ein Reiter hat es gut,
30Weiß nicht, wie das Schleppen tut;
31Hätt ich diesen Schimmel, wär ich
32Hans im Glücke. –

33Lümmel, sage mir, was ist es,
34Was du da zu schleppen hast? –
35Nichts als Gold, mein werter Ritter, –
36Gold?! – und mich erdrückt die Last –
37Nimm dafür den Schimmel. – Topp!
38Und so reit ich, hopp, hopp, hopp!
39Trabe, Schimmel! trabe, Schimmel!
40Hans im Glücke.

41Hopp, hopp, hopp! der dumme Teufel
42Schwitzt nun unter meinem Schatz;
43Hopp, hopp! Hopp, hopp! sachte, Schimmel!
44Pfui dich! – Plautz! ein Seitensatz,
45Und er lieget da zum Spott,
46Danket aber seinem Gott,
47Daß er nicht den Hals gebrochen,
48Hans im Glücke.

49Kommt ein Bauer, treibt gemächlich
50Vor sich hin ein magres Rind;
51Halt den Schimmel! halt den Schimmel!
52Schreit ihn an das Glückeskind;
53Ja! es lief sehr glücklich ab,
54Aber hart ist doch der Trab,
55Und ich will nicht wieder reiten,
56Hans im Glücke!

57Eine Kuh gibt Milch und Butter,
58Der Besitzer hat's nicht schlecht. –
59Wollt Ihr mit den Tieren tauschen?
60Mir ist schon der Schimmel recht. –
61Mit den Tieren tauschen?! Topp.
62Trabe, Bauer, hopp, hopp, hopp!
63Selig, überselig preist sich
64Hans im Glücke.

65Erst den Dienst, und dann die Bürde,
66Wieder nun den Schimmel los!
67Immer besser! immer besser!
68Nein, mein Glück ist allzu groß! –
69Und im heißen Sonnenschein
70Findet bald der Durst sich ein:
71Hast ja deine Kuh zu melken,
72Hans im Glücke. –

73Melken also; er versucht es,
74Nicht gedeiht es ganz und gar,
75Weil er Melken nicht gelernt hat,
76Und die Kuh ein Ochse war;
77Und er stößt und wehret sich:
78Prr! Prr! ruhig! denkst du mich,
79Wilde Bestie, tot zu schlagen?
80Hans im Glücke.

81Und des Weges zog ein Metzger,
82Der ein Schwein zur Metzig trieb:
83Esel! bleibe von dem Ochsen,
84Hast du deine Knochen lieb! –
85Von dem Ochsen?! – Tritt zurück! –
86Ist's ein Ochse? welch ein Glück!
87Ich erfahr es noch bei Zeiten,
88Hans im Glücke.

89Aber ach! die Milch? die Butter?
90Nun! der wird zu schlachten sein.
91Aber Schweinefleisch ist besser
92Und ich lobe mir das Schwein;
93Schweinebraten, Rippenspeer,
94Speck und Schinken, ja, noch mehr,
95Frische Wurst und Metzelsuppe!
96Hans im Glücke! –

97Dieses alles kannst du haben,
98Gib dafür den Ochsen hin;
99Willst du tauschen? – Herzlich gerne!
100Ja! der Handel ist Gewinn.
101Auf! mein Schweinchen, trabe du
102Lustig unserm Dorfe zu;
103Ja! die Mutter wird mich loben,
104Hans im Glücke! –

105Und es hat ein loser Bube
106Bei dem Handel ihn belauscht,
107Hätte gern auf gute Weise
108Sich von ihm das Schwein ertauscht,
109Kommt daher mit einer Gans,
110Schaut das Schwein an, dann den Hans: –
111Hast du selbst das Schwein gestohlen,
112Hans im Glücke? –

113Schwein gestohlen?! – Wie denn anders!
114Ja! das ist gestohlnes Gut.
115Sei du mir im nächsten Dorfe
116Vor dem Schulzen auf der Hut;
117Auf der Inquisitenbank,
118Dort im Amthaus... – Gott sei Dank!
119Das erfahr ich noch bei Zeiten,
120Hans im Glücke! –

121Nun! dir wäre schon zu helfen,
122Mach ich doch mir nichts daraus;
123Gib das Schwein und nimm den Vogel,
124Ich gehöre hier zu Haus,
125Weiß die Schliche durch den Wald,
126Man ertappt mich nicht so bald. –
127Ei! schon wieder außer Sorgen,
128Hans im Glücke!

129Freuen wird sich doch die Mutter,
130Eine Gans ist gar kein Hund,
131Und nach gutem Gänsebraten
132Wässert lange mir der Mund;
133Und das edle Gänsefett!
134Und die Daunen für das Bett!
135Ei! wie wirst darauf du schlafen,
136Hans im Glücke!

137Nicht das Beste zu vergessen,
138Auch der Federkiele viel!
139Nichts ist mächtiger auf Erden,
140Als ein solcher Gänsekiel,
141Wenn der Kantor Wahres spricht;
142Aber schreiben kannst du nicht,
143Hättest schreiben du gelernt,
144Hans im Glücke! –

145Und ein lust'ger Scherenschleifer
146Kam daher die Straß entlang,
147Machte Halt mit seinem Karren,
148Rieb die Hände sich und sang:
149Geld im Sack und nimmer Not!
150Meine Kunst ist sichres Brot. –
151Könnt ich diese Kunst, so wär ich
152Hans im Glücke. –

153Kerl, wo hast du diese Gans her? –
154Hab getauscht sie für mein Schwein. –
155Und dein Schwein? – für meinen Ochsen. –
156Diesen? – für den Schimmel mein. –
157Und den Schimmel? – für mein Gold. –
158Gold?! – ja; meiner Dienste Sold. –
159Blitz! du hast dich stets gebessert,
160Hans im Glücke!

161Aber eins mußt du bedenken:
162Eine Gans ist bald verzehrt,
163Mußt auf eine Kunst dich legen,
164Die ein sichres Brot gewährt. –
165Meister, ja, das mein ich auch;
166Lehrt mich Scherenschleifer-Brauch,
167Bin ich Scherenschleifer, bin ich
168Hans im Glücke. –

169Willst dafür die Gans mir geben? –
170Ja! es lohnet wohl der Kauf. –
171Zwei der Steine, die da lagen,
172Hebt der Schalk vom Boden auf,
173Wohlgerundet, glatt und rein,
174Nicht zu groß und nicht zu klein:
175Wirst ein tücht'ger Scherenschleifer,
176Hans im Glücke.

177Her die Gans, und nimm die Steine,
178Trage sie im Arme, so!
179Auf dem klopfst du, auf dem schleifst du,
180Und das ist das A und O.
181Geld im Sack und nimmer Not,
182Deine Kunst ist sichres Brot;
183Alles andre wird sich finden,
184Hans im Glücke. –

185Und er nimmt mit Gans und Karren
186Schnell den nächsten Seitensteg;
187Hans mit seinen Steinen ziehet
188Jubilierend seinen Weg:
189Alles, alles trifft mir ein,
190Muß ein Sonntagskind wohl sein,
191Und auf Glückeshaut geboren,
192Hans im Glücke! –

193Aber späte war's geworden,
194Fern das Dorf, und Essenszeit,
195Nichts gegessen, nichts getrunken,
196Hunger, Durst und Müdigkeit;
197Und die Steine waren schwer,
198Drückten, wie das Gold, auch sehr:
199Holte die der Teufel, wär ich
200Hans im Glücke! –

201Dort am Brunnen will er trinken,
202Setzt, wie ein bedächt'ger Mann,
203Auf den Rand die Steine nieder,
204Schaut sich um und stößt daran;
205Plump! sie liegen in dem Grund,
206Und er lacht den Bauch sich rund;
207Auch der Wunsch ist eingetroffen,
208Hans im Glücke!

209Zu der Mutter! ruft er freudig,
210Zu der Mutter, leicht zu Fuß!
211Sollst mich loben! sollst dich freuen!
212Bringe Glückesüberfluß;
213Alles, alles trifft mir ein,
214Muß ein Sonntagskind wohl sein,
215Und auf Glückeshaut geboren,
216Hans im Glücke!

(Aus: Haider, Thomas. A Large Annotated Reference Corpus of New High German Poetry. In: Proceedings of the 2024 Joint International Conference on Computational Linguistics, Language Resources and Evaluation (LREC-COLING 2024), S. 677–683, Torino, Italia. ELRA and ICCL. 2024.)

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Dieses Gedicht könnte aus folgender Literaturepoche stammen:
Author

Adelbert von Chamisso (1781-1838)

* 01/30/1781 in Châlons-en-Champagne, † 08/21/1838 in Berlin

männlich, geb. Chamisso

- Bronchialkarzinom

deutscher Naturforscher und Dichter (1781–1838)

(Aus: Wikidata.org)

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