1Hoch wo das Dunkel seine Schatten türmt
2Durch Ewigkeiten fern vom Grund der Qual,
3Hoch oben, wo im Dom der Regen stürmt,
4Erscheint des Gottes Haupt, wie Morgen fahl.
5Die weiten Kirchen füllt der Sphären Traum
6Voll Schweigen, das wie leise Harfen klingt,
7Da, wie der Mond vom großen Himmelsraum,
8Des Gottes weißes Haupt heruntersinkt.
9Tretet heran. Sein Mund ist süß wie Frucht,
10Sein Blut ist, wie der Wein, langsam und schwer.
11Auf seiner Lippen dunkelroter Bucht
12Wiegt blaue Glut von fernem Sommermeer.
13Tretet heran. Wie Flaum von Faltern zart,
14Wie eines jungen Sternes goldne Nacht,
15Zittert sein Mund, in seinem goldnen Bart,
16Wie Chrysolith in einem tiefen Schacht.
17Tretet heran. Wie einer Schlange Haut
18So kühl ist er, weich wie ein Purpurkleid,
19Wie Abendrot so sanft, das übergraut
20Brennender Liebe wildes Herzeleid.
21Der Gram gefallner Engel ruht, ein Traum,
22Auf seiner Stirn, der Qualen weißem Thron,
23Wie Schläfer traurig, denen floh zum Saum
24Des blassen Morgens ihre Vision.
25Tiefer als tausend leere Himmel tief
26Ist seine Schwermut, wie die Hölle schön,
27Wo in den roten Abgrund sich verlief
28Ein bleicher Sonnenstrahl aus Mittagshöhn.
29Sein Leid ist wie ein Leuchter in der Nacht,
30Schauet die Flamme, die sein Haupt umloht,
31Und doppelhörnig in der düstren Pracht
32Aus seinem Lockenwald ins Dunkel droht.
33Sein Leid ist wie ein Teppich, drauf die Schrift
34Der Kabbalisten brennt durch Dunkelheit,
35Ein Eiland, dem ‹vorbei› ein Segler schifft,
36Wenn in den Bergen fern das Einhorn schreit.
37Sein Leib trägt eines Schattenwaldes Duft,
38Wo großer Sümpfe Trauervögel ziehn,
39Ein König, der durch seiner Ahnen Gruft
40Nachdenklich geht in weißem Hermelin.
41Tretet heran, entflammt von seinem Gram.
42Trinkt seinen Atem, der so kühl wie Eis,
43Der über tausend Paradiese kam,
44Voll Duft, der jeden Kummer weiß.
45Er lächelt, seht. Und eurer Seele Bild
46Wird wie ein Weiher, der im Schilfe schweigt,
47Wo leis des Hirtengottes Flöte schwillt,
48Der durch die Lorbeerschlucht heruntersteigt.
49Schlaft ein. Die Nacht, die schwarz im Dome hängt,
50Verlöscht die Lampen an dem Hochaltar.
51Der große Adler seines Schweigens senkt
52Auf eure Stirn sein dunkles Schwingenpaar.
53Schlaft, schlaft. Des Gottes dunkler Mund, er streift
54Euch herbstlich kühl, wie kalter Gräber Wind,
55Darauf des falschen Kusses Blume reift,
56Wie Mehltau giftig, gelb wie Hyazinth.