Hermann Löns: Die sieben Steinhäuser (1890)

1Die Frauen vom Stamme der roten Hunde
2Die schrien auf wie aus einem Munde,
3Die weite braune Heide erklang
4Von ihrem gellenden Jammergesang.

5Die Wölfe stoben entsetzt von dannen,
6Das Rotwild polterte in die Tannen,
7Der Adler ruderte hastig vorbei,
8Vergrämt von dem gellenden Jammergeschrei.

9Die Krieger umstanden die Bahren im Kreise,
10Sie sangen die dunkele Racheweise,
11Sie sangen das alte böse Lied
12Von dem roten Hund, der auf Raub auszieht.

13Der Häuptling stand zu Füßen der Bahren,
14Die rote Fellkappe auf den Haaren,
15Die rechte Hand umschloß das Beil,
16Die andere lag auf dem Feuersteinkeil.

17Sah nicht zur Rechten, sah nicht zur Linken,
18Seine Augen starrten, ohne zu blinken,
19Auf seiner toten Söhne Gesicht,
20Seine schmalen Lippen die zuckten nicht.

21Sein Antlitz färbten die Zeichen der Trauer,
22Sieben weiße Striche und ein blauer,
23Die Brust war siebenmal aufgeschlitzt,
24Die Stirne siebenfach blutig geritzt.

25Er hob das Beil, der Kreis sich teilte,
26Vom Lager her der Zauberer eilte,
27Er führte herbei ein weißes Roß,
28Von dessen Maule der Geifer floß.

29Die Frauen schrien, die Männer sangen,
30Die Schilde dröhnten, die Hörner klangen,
31Der Zauberer riß mit dem heiligen Stein
32Dem Schimmel die Opfermarken ein.

33Und warf ihm Staub in die weiße Mähne,
34Und rieb ihm Asche zwischen die Zähne,
35Und sengte die Locke auf seiner Stirn
36Und trieb ihm das Messer in das Gehirn.

37Die Hörner heulten, die Schilde klangen,
38Die Weiber schrien, die Krieger sangen,
39Der Zauberer schwang das brennende Scheit
40Und weihte die Toten der Dunkelheit.

41Aus sieben Bahren schlugen die Flammen
42Und kamen in einem Rauche zusammen,
43Des brennenden Wacholders Duft
44Erfüllte weit und breit die Luft.

45Die Flammen flackerten auf und nieder
46Und fraßen der Häuptlingssöhne Glieder,
47Die Krieger sangen das böse Lied
48Von dem roten Hund, der auf Raub auszieht.

49Und sangen das Lied wohl sieben Jahre,
50Und ließen wachsen am Kinne die Haare,
51Und wuschen Leib nicht und Gesicht,
52Und schliefen bei ihren Frauen nicht.

53Es blieb das Beil in ihren Händen,
54Das Messer wich nicht von den Lenden,
55Es flog in jedes Kriegers Haar
56Der rote Fuchsschwanz sieben Jahr.

57Bis daß vertilgt waren von der Erde
58Die Männer vom Stamme der weißen Pferde,
59Es blieb verschont nicht Weib noch Kind,
60In ihren Schädeln pfiff der Wind.

61Da machte der bunte Stock die Runde
62In allen Hütten der roten Hunde
63Und rief die Krieger alle heran,
64Sie kamen im Festschmuck Mann für Mann.

65Und feierten das große Gelage,
66Das dauerte ganze sieben Tage.
67Die weite braune Heide erklang
68Von ihrem gellenden Jubelgesang.

69Dann bauten sie lange, breite Dämme,
70Dann fällten sie lange, dicke Stämme,
71Dann wälzten immer hundert Mann
72Die großen Steine der Heide heran.

73Daraus sie sieben Kammern türmten,
74Die sieben Totenurnen beschirmten,
75Und wölbten hoch den gelben Sand,
76Hell leuchtend aus dem braunen Land.

77Zu geben weit und breit die Kunde
78Vom Rachekrieg der roten Hunde,
79Von ihrer sieben Helden Tod
80Und von der Schimmelreiter Not.

(Aus: Haider, Thomas. A Large Annotated Reference Corpus of New High German Poetry. In: Proceedings of the 2024 Joint International Conference on Computational Linguistics, Language Resources and Evaluation (LREC-COLING 2024), S. 677–683, Torino, Italia. ELRA and ICCL. 2024.)

Bitte prüfe den Text zunächst selbst auf Auffälligkeiten und nutze erst dann die Funktionen!

Wähle rechts unter „Einstellungen“ aus, welcher Aspekt untersucht werden soll. Unter dem Text findest du eine Erklärung zu dem ausgewählten Aspekt.

Dieses Gedicht könnte aus folgender Literaturepoche stammen:
Author

Hermann Löns (1866-1914)

* 09/29/1866 in Chełmno, † 09/26/1914 in Loivre

männlich

deutscher Journalist und Schriftsteller

(Aus: Wikidata.org)

Bitte beachte unsere Hinweise zur möglichen Fehleranfälligkeit!

Gedichtanalysen zu diesem Gedicht