Hermann Löns: Helljagd (1890)

1Schneelicht die Heide, hell und klar,
2Zu Ende geht das alte Jahr;
3Sucht sich sein Grab im weißen Schnee
4Samt seiner Wonne, seinem Weh.

5Ich starre in die Nacht hinein.
6Der Himmel ist voll blankem Schein;
7Ein Sternlein bei dem andern steht,
8Wie Silberblumen ausgesät.

9Ich bin nicht traurig, bin nicht froh,
10Mein Herz, das ist in Nirgendwo;
11Es ist nicht da, es ist nicht dort,
12Es ist an einem andern Ort.

13Da kommt mein Blick zu mir zurück,
14Da heb' ich das gesenkte Genick,
15Da horch' ich in die Nacht hinein,
16Da hör' ich eine Eule schrei'n.

17Der Eule Schrei, der war es nicht,
18Ich senke wieder das Gesicht;
19Denk' nicht an dies, denk' nicht an das,
20Ich weiß nicht wie, ich weiß nicht was.

21Mein Blick geht wieder gradeaus,
22Der Fuchs steht auf dem Seelenhaus,
23Steht schwarz auf dem verschneiten Stein,
24Bellt heiser in die Nacht hinein.

25Des Fuchses Bellen war es nicht,
26Ich senke wieder das Gesicht;
27Da kommt der Ruf von Nimmermehr
28Und Nirgendwo noch einmal her.

29Hohl kommt er her vom Seelenland,
30Ich nehm' die Büchse in die Hand;
31Im wilden Walde geht der Wind,
32Sein Lied zu summen er beginnt.

33Der Wind im Walde war es nicht,
34Ich senke wieder das Gesicht;
35Bis ich vergesse, wo ich bin,
36Da hallt es nochmals nach mir hin.

37Die Uhr im fernen Dorfe schlägt,
38Zwölf Schläge es herüber trägt;
39Da lausche ich mit off'nem Mund,
40Ich höre meinen toten Hund.

41Viel' Stimmen kommen querfeldein,
42Mit Ho Rüd ho und Hussaschrei'n;
43Weit weg sind sie und wieder nah,
44Sind hier nicht und sind auch nicht da.

45Die Sterne springen hin und her,
46Sie springen in die Kreuz und Quer;
47Sie treten rechts und links zur Seit'
48In ihrer hellen Herrlichkeit.

49Es öffnet sich das Himmelstor,
50Der weiße Keiler bricht hervor;
51In seiner Fährte braust die Jagd
52Hernieder durch die Weihenacht.

53Ich halt' das Hifthorn an den Mund:
54Daher, daher, mein lieber Hund;
55Gesellmann mein, Gesellmann fein,
56Heut' wollen wir beisammen sein.

57Daher, daher, mein roter Hund,
58Es trieb dich her zur guten Stund';
59Daß du gelassen hast dein Grab,
60Darein ich dich gebettet hab'.

61Voran, mein Hund, voran, voran,
62Weis' her, weis' her, die Jagd geht an;
63Es hallt das Horn, es hallet nah',
64Der hohe Jagdherr, der ist da.

65Er reitet kreuz, er reitet quer,
66Der weiße Keiler flieht daher;
67Und hinter ihm das Grauhundpaar,
68Und hinterdrein die ganze Schar.

69Der Grauhund bellt, der Rabe schreit,
70Nun ist sie da, die hohe Zeit;
71Zur Fährt', mein Hund, mein roter Hund,
72Zur Fährt', mein Hund, und such' verwund't.

73Hei Helljagd schön, hei Helljagd gut,
74Der hohe Jagdherr schwenkt den Hut;
75Sein Schimmel trabt ob Stock und Stein,
76Wir müssen beide hinterdrein.

77Dahin, dahin, mein roter Hund,
78Wir trafen uns zur guten Stund';
79Das ist die Nacht, die helle Nacht,
80Die Toten reiten auf die Jagd.

81Sie reiten scharf, sie reiten schnell,
82Sind allzusammen heut' zur Stell';
83Schön laut, mein Hund, mein Hündlein rot,
84Gestorben, ist noch längst nicht tot.

85Was Tod, was Grab, was Weh, was Leid,
86Der Grauhund bellt, der Rabe schreit;
87Den weißen Keiler jagen wir,
88Das adelige Hochgetier.

89Es wetzt sein goldenes Gewapp'
90Und schlägt die bunte Meute ab;
91Aus seinem Blatte, blink und blank,
92Da rinnt der rote Schweiß entlang.

93Der Rüdemann, der reitet vorn,
94Er bläst sein gelbes Rüdehorn;
95Er schwingt die Peitsche lang und schwank,
96Ihr Knall, der ist wie Donnerklang.

97Ein blauer Blitz folgt hinterher,
98Der Helljagdreiter warf den Speer;
99Hu Hatz, mein Hund, hu Su, hu Su,
100Dazu, mein Hund, dazu, dazu!

101Dazu, mein Hund, mein lieber Hund,
102Dazu, dazu und such' verwund't;
103So recht, so schön, mein Hündlein rot,
104Daher, daher, laß ab, tot, tot!

105Tot, tot, mein Hund, daher, daher,
106Der grimme Basse lebt nicht mehr;
107Der weiße Schnee ward rosenrot,
108Es ruft das Horn: Sau tot, Sau tot.

109Ein Horüdhoh hallt durch die Nacht,
110Daß jeder Ast im Walde kracht;
111Daß jedes Sternlein sich versteckt,
112Vom wilden Weidgeschrei erschreckt.

113Dahin, mein Hund, dahin, mein Hund,
114Die Uhr, die schlägt die erste Stund';
115Aufs Jahr, mein Hund, auf Wiedersehn,
116Die Toten müssen schlafen gehn.

117Das andre Jahr um diese Zeit,
118Mein liebster Hund, halt' dich bereit;
119Verschlafe nicht die helle Nacht,
120Verschlafe nicht die hohe Jagd.

121Leb' wohl, mein Hund, mein toter Hund,
122Leb' wohl, aufs Jahr um diese Stund;
123Bei Schneelicht und bei Sternenschein,
124Will ich für immer bei dir sein.

(Aus: Haider, Thomas. A Large Annotated Reference Corpus of New High German Poetry. In: Proceedings of the 2024 Joint International Conference on Computational Linguistics, Language Resources and Evaluation (LREC-COLING 2024), S. 677–683, Torino, Italia. ELRA and ICCL. 2024.)

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Dieses Gedicht könnte aus folgender Literaturepoche stammen:
Author

Hermann Löns (1866-1914)

* 09/29/1866 in Chełmno, † 09/26/1914 in Loivre

männlich

deutscher Journalist und Schriftsteller

(Aus: Wikidata.org)

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