Joseph von Eichendorff: Heimkehr (1810)

1Heimwärts kam ich spät gezogen
2Nach dem väterlichen Haus,
3Die Gedanken weit geflogen
4Über Berg und Tal voraus.
5»nur noch hier aus diesem Walde!«
6Sprach ich, streichelt sanft mein Roß,
7»goldnen Haber kriegst du balde,
8Ruhn wir aus auf lichtem Schloß.«

9»doch warum auf diesen Wegen
10Sieht's so still und einsam aus?
11Kommt denn keiner mir entgegen,
12Bin ich nicht mehr Sohn vom Haus?
13Kein' Hoboe hör ich schallen,
14Keine bunte Truppe mehr
15Seh ich froh den Burgpfad wallen –
16Damals ging es lust'ger her.«

17Über die vergoldten Zinnen
18Trat der Monden eben vor,
19»holla ho! ist niemand drinnen?
20Fest verriegelt ist das Tor.
21Wer will in der Nacht mich weisen,
22Von des Vaters Hof und Haus!«
23Mit dem Schwert hau ich die Eisen,
24Und das Tor springt rasselnd auf.

25Doch was seh ich! wüst, verfallen
26Zimmer, Hof und Bogen sind,
27Einsam meine Tritte hallen,
28Durch die Fenster pfeift der Wind.
29Alle Ahnenbilder lagen
30Glanzlos in den Schutt verwühlt,
31Und die Zither drauf, zerschlagen,
32Auf der ich als Kind gespielt.

33Und ich nahm die alte Zither,
34Trat ans Fenster voller Gras,
35Wo so ofte hinterm Gitter
36Sonst die Mutter bei mir saß:
37Gern mit Märlein mich erbaute,
38Daß ich still saß, Abendrot,
39Strom und Wälder fromm beschaute –
40»mutter, bist du auch schon tot?«

41So war ich in' Hof gekommen –
42Was ich da auf einmal sah,
43Hat den Atem mir benommen,
44Bleibt mir bis zum Tode nah:
45Aufrecht saßen meine Ahnen,
46Und kein Laut im Hofe ging,
47Eingehüllt in ihre Fahnen,
48Da im ewig stillen Ring.

49Und den Vater unter ihnen
50Sah ich sitzen an der Wand,
51Streng und steinern seine Mienen,
52Doch in tiefster Brust bekannt;
53Und in den gefaltnen Händen
54Hielt er ernst ein blankes Schwert,
55Tät die Blicke niemals wenden,
56Ewig auf den Stahl gekehrt.

57Da rief ich aus tiefsten Schmerzen:
58»vater, sprich ein einzig Wort,
59Wälz den Fels von deinem Herzen,
60Starre nicht so ewig fort!
61Was das Schwert mit seinem Scheinen,
62Rede, was dein Schauen will;
63Denn mir graust durch Mark und Beine,
64Wie du so entsetzlich still.« –

65Morgenleuchten kam geflogen,
66Und der Vater ward so bleich,
67Adler hoch darüber zogen
68Durch das klare Himmelreich,
69Und der Väter stiller Orden
70Sank zur Ruh in Ewigkeit,
71Steine, wie es lichte worden,
72Standen da im Hof zerstreut.

73Nur der Degen blieb da droben
74Einsam liegen überm Grab;
75»sei denn Hab und Gut zerstoben,
76Wenn ich dich, du Schwert, nur hab!«
77Und ich faßt es. – Leute wühlten
78Übern Berg, hinab, hinauf,
79Ob sie für verrückt mich hielten –
80Mir ging hell die Sonne auf.

(Aus: Haider, Thomas. A Large Annotated Reference Corpus of New High German Poetry. In: Proceedings of the 2024 Joint International Conference on Computational Linguistics, Language Resources and Evaluation (LREC-COLING 2024), S. 677–683, Torino, Italia. ELRA and ICCL. 2024.)

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Dieses Gedicht könnte aus folgender Literaturepoche stammen:
Author

Joseph von Eichendorff (1788-1857)

* 03/10/1788 in Ratibor, Oberschlesien, † 11/26/1857 in Neisse, Oberschlesien

männlich, geb. Eichendorff

natürliche Todesursache - Lungenentzündung

bedeutender Lyriker und Schriftsteller der deutschen Romantik

(Aus: Wikidata.org)

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