Nikolaus Lenau: Die Heideschenke (1828)

1Ich zog durchs weite Ungarland;
2Mein Herz fand seine Freude,
3Als Dorf und Busch und Baum verschwand
4Auf einer stillen Heide.

5Die Heide war so still, so leer,
6Am Abendhimmel zogen
7Die Wolken hin, gewitterschwer,
8Und leise Blitze flogen.

9Da hört ich in der Ferne was,
10In dunkler, meilenweiter;
11Ich legte 's Ohr ans knappe Gras,
12Mir war, als kämen Reiter.

13Und als sie kamen näherwärts,
14Begann der Grund zu zittern,
15Stets bänger, wie ein zages Herz
16Vor nahenden Gewittern.

17Hertobte nun ein Pferdehauf,
18Von Hirten angetrieben
19Zu rastlos wildem Sturmeslauf
20Mit lauten Geißelhieben.

21Der Rappe peitscht den Grund geschwind
22Zurück mit starken Hufen,
23Wirft aus dem Wege sich den Wind,
24Hört nicht sein scheltend Rufen.

25Gezwungen ist in strenge Haft
26Des Wildfangs tolles Jagen,
27Denn klammernd herrscht des Reiters Kraft,
28Um seinen Bauch geschlagen.

29Sie flogen hin, woher mit Macht
30Das Wetter kam gedrungen;
31Verschwanden – ob die Wolkennacht
32Mit einmal sie verschlungen.

33Doch meint ich nun und immer noch
34Zu hören und zu sehen
35Der Hufe donnerndes Gepoch,
36Der Mähnen schwarzes Wehen.

37Die Wolken schienen Rosse mir,
38Die eilend sich vermengten,
39Des Himmels hallendes Revier
40Im Donnerlauf durchsprengten.

41Der Sturm ein wackrer Rosseknecht,
42Sein muntres Liedel singend,
43Daß sich die Herde tummle recht,
44Des Blitzes Geißel schwingend.

45Schon rannten sich die Rosse heiß,
46Matt ward der Hufe Klopfen,
47Und auf die Heide sank ihr Schweiß
48In schweren Regentropfen.

49Nun brach die Dämmerung herein,
50Mir winkt von fernen Hügeln
51Herüber weißer Wände Schein,
52Die Schritte zu beflügeln.

53Es schwieg der Sturm, das Wetter schwand;
54Froh, daß es fortgezogen,
55Sprang übers ganze Heideland
56Der junge Regenbogen.

57Die Hügel nahten allgemach;
58Die Sonne wies im Sinken
59Mir noch von Rohr das braune Dach,
60Ließ hell die Fenster blinken.

61Am Giebel tanzte wie berauscht
62Des Weines grüner Zeiger,
63Und als ich freudig hingelauscht,
64Hört ich Gesang und Geiger.

65Bald kehrt ich ein und setzte mich
66Allein mit meinem Kruge;
67An mir vorüber drehte sich
68Der Tanz im raschen Fluge.

69Die Dirnen waren frisch und jung
70Und hatten schlanke Leiber,
71Gar flink im Drehen, leicht im Sprung,
72Die Bursche – waren Räuber.

73Die Hände klatschten, und im Takt
74Hell klirrt des Spornes Eisen;
75Das Lied frohlocket, und es klagt
76Schwermütig kühne Weisen.

77Ein Räuber singt: »Wir sind so frei,
78So selig, meine Brüder!«
79Am Jubeln seines Munds vorbei
80Schleicht eine Träne nieder.

81Der Hauptmann sitzt, auf seinen Arm
82Das braune Antlitz senkend,
83Er scheint entrückt dem lauten Schwarm,
84Wie an sein Schicksal denkend.

85Das Feuer seiner Augen bricht
86Hindurch die finstern Brauen,
87Wie nachts im Wald der Flamme Licht
88Durch Büsche ist zu schauen.

89Wächst aber Sang und Sporngeklirr
90Nun kühner den Genossen,
91Seh ich das leere Weingeschirr
92Ihn kräftig niederstoßen.

93Ein Mädel sitzt an seiner Seit,
94Scheint ihn als Kind zu ehren
95Und gerne hier der Fröhlichkeit
96Des Tanzes zu entbehren.

97Auf ihren Reizen ruht sein Blick
98Mit innigem Behagen,
99Zugleich auf seines Kinds Geschick
100Mit heimlichem Beklagen. –

101Stets wilder in die Seelen geigt
102Nun die Zigeunerbande,
103Der Freude süßes Rasen steigt
104Laut auf zum höchsten Brande.

105Und selbst des Hauptmanns Angesicht
106Hat Freude überkommen; –
107Da dacht ich an das Hochgericht
108Und ging hinaus, beklommen.

109Die Heide war so still, so leer,
110Am Himmel nur war Leben;
111Ich sah der Sterne strahlend Heer,
112Des Mondes Völle schweben.

113Der Hauptmann auch entschlich dem Haus;
114Mit wachsamer Gebärde
115Rings horcht' er in die Nacht hinaus,
116Dann horcht' er in die Erde,

117Ob er nicht höre schon den Tritt
118Ereilender Gefahren,
119Ob leise nicht der Grund verriet
120Ansprengende Husaren.

121Er hörte nichts, da blieb er stehn,
122Um in die hellen Sterne,
123Um in den hellen Mond zu sehn,
124Als möcht er sagen gerne:

125›o Mond im weißen Unschuldskleid!
126Ihr Sterne dort unzählig!
127In eurer stillen Sicherheit,
128Wie wandert ihr so selig!‹

129Er lauschte wieder, – und er sprang
130Und rief hinein zum Hause,
131Und seiner Stimme Macht verschlang
132Urplötzlich das Gebrause.

133Und eh das Herz mir dreimal schlug,
134So saßen sie zu Pferde,
135Und auf und davon im schnellen Flug,
136Daß rings erbebte die Erde.

137Doch die Zigeuner blieben hier,
138Die freurigen Gesellen,
139Und spielten alte Lieder mir
140Rakoczys, des Rebellen.

(Aus: Haider, Thomas. A Large Annotated Reference Corpus of New High German Poetry. In: Proceedings of the 2024 Joint International Conference on Computational Linguistics, Language Resources and Evaluation (LREC-COLING 2024), S. 677–683, Torino, Italia. ELRA and ICCL. 2024.)

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Dieses Gedicht könnte aus folgender Literaturepoche stammen:
Author

Nikolaus Lenau (1802-1850)

* 08/13/1802 in Lenauheim, † 08/22/1850 in Oberdöbling

männlich, geb. Lenau

österreichischer Schriftsteller (1802-1850)

(Aus: Wikidata.org)

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