1In Schweden steht ein grauer Turm,
2Herbergend Eulen, Aare;
3Gespielt mit Regen, Blitz und Sturm
4Hat er neunhundert Jahre;
5Was je von Menschen hauste drin,
6Mit Lust und Leid, ist längst dahin.
7Der Regen strömt, ein Reiter naht,
8Er spornt dem Roß die Flanken;
9Verloren hat er seinen Pfad
10In Dämmrung und Gedanken;
11Es windet heulend sich im Wind
12Der Wald, wie ein gepeitschtes Kind.
13Verrufen ist der Turm im Land,
14Daß nachts, bei hellem Lichte,
15Ein Geist dort spukt in Mönchsgewand,
16Mit traurigem Gesichte;
17Und wer dem Mönch ins Aug gesehn,
18Wird traurig und will sterben gehn.
19Doch ohne Schreck und Grauen tritt
20Ins Turmgewölb der Reiter,
21Er führt herein den Rappen mit
22Und scherzt zum Rößlein heiter:
23»gelt du, wir nehmens lieber auf
24Mit Geistern als mit Wind und Trauf?«
25Den Sattel und den nassen Zaum
26Entschnallt er seinem Pferde,
27Er breitet sich im öden Raum
28Den Mantel auf die Erde
29Und segnet noch den Aschenrest
30Der Hände, die gebaut so fest.
31Und wie er schläft und wie er träumt
32Zur mitternächtgen Stunde,
33Weckt ihn sein Pferd, es schnaubt und bäumt,
34Hell ist die Turmesrunde,
35Die Wand wie angezündet glimmt;
36Der Mann sein Herz zusammennimmt.
37Weit auf das Roß die Nüstern reißt,
38Es bleckt vor Angst die Zähne,
39Der Rappe zitternd sieht den Geist
40Und sträubt empor die Mähne;
41Nun schaut den Geist der Reiter auch
42Und kreuzet sich nach altem Brauch.
43Der Mönch hat sich vor ihn gestellt,
44So klagend still, so schaurig,
45Als weine stumm aus ihm die Welt,
46So traurig, o wie traurig!
47Der Wandrer schaut ihn unverwandt
48Und wird von Mitleid übermannt.
49Der große und geheime Schmerz,
50Der die Natur durchzittert,
51Den ahnen mag ein blutend Herz,
52Den die Verzweiflung wittert,
53Doch nicht erreicht –
54Im Aug des Mönchs, der Reiter weint.
55Er ruft: »O sage, was dich kränkt?
56Was dich so tief beweget?«
57Doch wie der Mönch das Antlitz senkt,
58Die bleichen Lippen reget,
59Das Ungeheure sagen will:
60Ruft er entsetzt: »Sei still! sei still!« –
61Der Mönch verschwand, der Morgen graut,
62Der Wandrer zieht von hinnen;
63Und fürder spricht er keinen Laut,
64Den Tod nur muß er sinnen;
65Der Rappe rührt kein Futter an,
66Um Roß und Reiter ists getan.
67Und als die Sonn am Abend sinkt:
68Die Herzen bänger schlagen,
69Der Mönch aus jedem Strauche winkt,
70Und alle Blätter klagen,
71Die ganze Luft ist wund und weh –
72Der Rappe schlendert in den See.