Johann Peter Uz: An die Sonne (1758)

1O Sonne, Königinn der Welt,
2Die unser dunkles Rund erhellt,
3In lichter Majestät;
4Erhabnes Wunder einer Hand,
5Die jene Himmel ausgespannt,
6Und Sterne hingesät!

7Noch heute seh ich deinen Glanz:
8Mir lacht in ihrem Bluhmenkranz
9Noch heute die Natur.
10Der Vögel buntgefiedert Heer
11Singt morgen mir vielleicht nicht mehr,
12Im Wald und auf der Flur.

13Ich fühle, daß ich sterblich bin!
14Mein Leben welkt, wie Gras, dahin,
15Wie ein verschmachtend Laub.
16Wer weis, wie unerwartet bald
17Des Höchsten Wort an mich erschallt:
18Komm wieder in den Staub!

19Wenn mich das finstre Grab verschlingt,
20Ein ewig Schweigen mich umringt,
21Mich die Verwesung nagt:
22Alsdann bleibt alles doch zurück,
23Und hätte gleich ein lächelnd Glück
24Mir keinen Wunsch versagt!

25O Thorheit, wenn ich mich verkannt,
26Und nach der Erde Lieblingstand,
27Nach großem Gut gegeizt!
28Wenn mich der Ehre schimmernd Kleid
29Und aller Prunk der Eitelkeit
30Zu niedrem Neid gereizt!

31Verlangt mein leiser Wunsch zu viel?
32Verfolg ich ein zu weites Ziel,
33Auf ungewissem Pfad?
34O Gott, ich beuge mich vor dir!
35Hier bin ich, es geschehe mir
36Nach deinem bessern Rath!

37Der Mensch, der aufgeblasne Thor,
38Schreibt seinem Schöpfer Weisheit vor?
39Dir, großer Menschenfreund?
40Du liebst ihn mehr, als er sich liebt,
41Wann deine Huld nicht immer giebt,
42Was jedem nützlich scheint.

43Wann der bethaute Morgen lacht,
44Wann von den Fittigen der Nacht
45Die Stunden kühler sind;
46Spricht mir die Weisheit liebreich zu:
47O Sterblicher, was sorgest du,
48Und wünschest in den Wind?

49Der dich gemacht, sorgt auch für dich!
50Nicht auf die Erde schränket sich
51Der Plan des Himmels ein.
52Dieß Leben ist ein Augenblick,
53Ein Frühlingstraum das längste Glück:
54Du sollst unsterblich seyn!

55Gedanke der Unsterblichkeit,
56Der über Erde, Welt und Zeit
57Ein edles Herz erhebt!
58Empöre dich in meiner Brust,
59Wenn die Sirene falscher Lust
60Mich klein zu machen strebt!

61Die Rosen um des Lasters Haupt
62Verblühen, ehe wirs geglaubt,
63Und ihr Genuß entehrt.
64Ich bin ein Pilgrim in der Zeit,
65Nur Freuden einer Ewigkeit
66Sind meiner Sorgen werth.

67Gieb mir, o du, der willig giebt,
68Ein Herz, das nur das Gute liebt,
69Und rein und heilig ist!
70Mach andre groß, o Gott! Ich sey
71Vergnügt und meiner Pflicht getreu,
72Ein Weiser und ein Christ!

(Aus: Haider, Thomas. A Large Annotated Reference Corpus of New High German Poetry. In: Proceedings of the 2024 Joint International Conference on Computational Linguistics, Language Resources and Evaluation (LREC-COLING 2024), S. 677–683, Torino, Italia. ELRA and ICCL. 2024.)

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Dieses Gedicht könnte aus folgender Literaturepoche stammen:
Author

Johann Peter Uz (1720-1796)

* 10/03/1720 in Ansbach, † 05/12/1796 in Ansbach

männlich, geb. Uz

deutscher Dichter

(Aus: Wikidata.org)

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