Felix Dahn: König Richard und Sir Hugh (1873)

1»nun zieh' ich ins gelobte Land, der heil'ge Christ hat Not,
2Jetzt helf' ich ihm mit
3Und dir, Sir Hugh, empfehl' ich all' mein Volk und was es hat,
4Schloß Dover, meines Reiches Wall, und London, meine Stadt.

5Ich kenne dich von edlem Mut: ich weiß, treu wahrest du
6Noch treuer als dein höchstes Gut mein Königsrecht, Sir Hugh.
7Mein Vetter Frankreich ist ein Schelm, mein Bruder John dazu:
8Sei du Altenglands Schild und Helm an meiner Statt, Sir Hugh.«

9Der König Richard sprach's und stieg an Bord mit seinem Heer:
10In seinen Fahnen flog der Sieg und Schreck zog vor ihm her;
11Vorauf dem Kreuzheer stritt der Held und hell erklang wie Erz
12Durch Christenland und Heidenwelt der Name: Löwenherz.

13Sir Hugh indes des Rechtes pflag und hielt das Reich in acht:
14Dem Staat gehört' der laute Tag, der Lieb' die stille Nacht.
15Denn einst, als er zu angeln ging am Severn blau und breit,
16Sir Hugh als süße Beute fing die allerschönste Maid.

17Das war das junge Fischerkind, nicht sechzehn Winter alt,
18Ihr golden Haar so seidenlind, so wonnig die Gestalt;
19In grüner Einsamkeit erblüht, gleichwie die Wasserros',
20Die an dem Rand des Severn glüht, von Schilf versteckt und Moos.

21Manch' goldnen Abend fuhren sie, wann süß der Hänfling sang,
22Wohl Mund an Mund und Knie an Knie den stillen Strom entlang.
23O waldumfriedet Glostershire, du erlengrünes Land,
24Welch' stille Freuden schautet ihr, ihr Buchten an dem Strand!

25Das Ruder ruht, – sie treiben leis, – vorauf der wilde Schwan –
26Und Blüten streuet rot und weiß der Maiwind in den Kahn.

27Seit Monden ruht der flinke Kahn, umsonst der Vogel schlägt,
28Kein Liebespaar auf blauer Bahn der stille Severn trägt:
29Sir Hugh zog aus mit Mann und Roß für König Richards Thron,
30Denn Frankreich griff nach Dover-Schloß, nach London griff Prinz John.

31Und manchen Tag stand er im Feld, es wuchs und wuchs der Feind,
32Schon vor dem Tor von London hält er seine Macht vereint.
33Und morgen will in blut'ger Schlacht Sir Hugh die Stadt befrein,
34Da stürzt ins Zelt bei tiefer Nacht sein treuster Knapp' herein:

35»du bist betrogen! folge mir nach Haus, Sir Hugh, nach Haus!
36Du kämpfst für König Richard hier, vieltreuer Mann, den Strauß:
37Und König Richard ist zurück, und stiehlt dir wie ein Dieb
38Im Wald von Glostershire dein Glück und herzt und kos't dein Lieb.

39Sie sitzt auf seinem Schoß in Ruh', – oft küßt er ihren Mund,
40Ich hab's gesehen – ich schwör' dir's zu – zur Rache fort, zur Stund'!«
41Wohl ward des Ritters Wange bleich: doch griff er zum Panier:
42»wohlauf! zur Schlacht für Kron' und Reich! und dann – nach Glostershire!«

43Am Severn vor dem Grafenschloß saß König Löwenherz,
44Von seinen bärt'gen Lippen floß manch' frohgemuter Scherz.
45Im Rosenbusche saß das Paar, Wein perlet im Pokal,
46Er spielt mit ihrem weichen Haar, mit ihren Fingern schmal.

47Da stürmt Sir Hugh herein zum Hag: – die Maid ward rot und fahl,
48Verbunden seine Linke lag, die Rechte schwang den Stahl.
49Und vor dem König erst mit Zucht ins Knie sinkt der Baron:
50»das Heer von Frankreich nahm die Flucht, geschlagen ist Prinz John.

51Frei Dover, deines Reiches Wall, frei London, deine Stadt,
52Und deines Rechtes überall wahrt' ich an deiner Statt,
53Ich war Altenglands Schild und Helm« – da sprang er auf im Schmerz –
54»doch du, Herr König, bist ein Schelm und nicht ein Löwenherz!

55Und schlug der Feind mich blutig wund für dich und für dein Recht,
56Mein Zorn ist heil, mein Grimm gesund, auf, König zum Gefecht!
57Und bist du gleich der Heiden Schreck und Englands Majestät:
58Nicht lebend kömmst du mir vom Fleck – Richard Plantagenet!«

59Der König Richard sah ihn an und sprach in hellem Ton:
60»gott segne dich, du tapfrer Mann, Gott segne dich, mein Sohn.
61Wohl kannt' ich dich, du herrlich Blut: Gott weiß, treu wahrtest du
62Und höher als dein höchstes Gut mein Königsrecht, Sir Hugh.

63Sir Hugh, ich bin kein falscher Dieb, liebkos' ich diese Maid,
64Denn meine Tochter ist dein Lieb, die Frucht vielsüßer Zeit.
65Auch ich fing einst am Severnfluß ein holdes Fischerkind: –
66Dein Aug' war hell, und süß dein Kuß, du arme Rosalind!

67Ob lang das Moos dein Grab umgrünt, heut schauest du in Huld,
68Wie endlich reich dein Richard sühnt die alte Liebesschuld:
69Das Beste, was ich geben kann, soll unsres Kindes sein:
70Ich geb' ihr den getreusten Mann, der in ganz England mein!«

(Aus: Haider, Thomas. A Large Annotated Reference Corpus of New High German Poetry. In: Proceedings of the 2024 Joint International Conference on Computational Linguistics, Language Resources and Evaluation (LREC-COLING 2024), S. 677–683, Torino, Italia. ELRA and ICCL. 2024.)

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Dieses Gedicht könnte aus folgender Literaturepoche stammen:
Author

Felix Dahn (1834-1912)

* 02/09/1834 in Hamburg, † 01/03/1912 in Breslau

männlich, geb. Dahn

deutscher Jurist, Schriftsteller, Historiker

(Aus: Wikidata.org)

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