Friedrich Hölderlin: Hymne an die Freiheit (1806)

1Wonne säng ich an des Orkus Toren,
2Und die Schatten lehrt ich Trunkenheit,
3Denn ich sah, vor Tausenden erkoren,
4Meiner Göttin ganze Göttlichkeit;
5Wie nach dumpfer Nacht im Purpurscheine
6Der Pilote seinen Ozean,
7Wie die Seligen Elysens Haine,
8Staun ich dich, geliebtes Wunder! an.

9Ehrerbietig senkten ihre Flügel,
10Ihres Raubs vergessen, Falk und Aar,
11Und getreu dem diamantnen Zügel
12Schritt vor ihr ein trotzig Löwenpaar;
13Jugendliche wilde Ströme standen,
14Wie mein Herz, vor banger Wonne stumm;
15Selbst die kühnen Boreasse schwanden,
16Und die Erde ward zum Heiligtum.

17Ha! zum Lohne treuer Huldigungen
18Bot die Königin die Rechte mir,
19Und von zauberischer Kraft durchdrungen
20Jauchzte Sinn und Herz verschönert ihr;
21Was sie sprach, die Richterin der Kronen,
22Ewig tönts in dieser Seele nach,
23Ewig in der Schöpfung Regionen –
24Hört, o Geister, was die Mutter sprach!

25»taumelnd in des alten Chaos Wogen,
26Froh und wild, wie Evans Priesterin,
27Von der Jugend kühner Lust betrogen,
28Nannt ich mich der Freiheit Königin;
29Doch es winkte der Vernichtungsstunde
30Zügelloser Elemente Streit;
31Da berief zu brüderlichem Bunde
32Mein Gesetz die Unermeßlichkeit.

33Mein Gesetz, es tötet zartes Leben,
34Kühnen Mut, und bunte Freude nicht,
35Jedem ward der Liebe Recht gegeben,
36Jedes übt der Liebe süße Pflicht;
37Froh und stolz im ungestörten Gange
38Wandelt Riesenkraft die weite Bahn,
39Sicher schmiegt in süßem Liebesdrange
40Schwächeres der großen Welt sich an.

41Kann ein Riese meinen Aar entmannen?
42Hält ein Gott die stolzen Donner auf?
43Kann Tyrannenspruch die Meere bannen?
44Hemmt Tyrannenspruch der Sterne Lauf? –
45Unentweiht von selbsterwählten Götzen,
46Unzerbrüchlich ihrem Bunde treu,
47Treu der Liebe seligen Gesetzen,
48Lebt die Welt ihr heilig Leben frei.

49Mit gerechter Herrlichkeit zufrieden
50Flammt
51Auf die brüderlichen
52Selbst der
53Froh des Götterloses, zu erfreuen,
54Lächelt Helios in süßer Ruh
55Junges Leben, üppiges Gedeihen
56Dem geliebten Erdenrunde zu.

57Unentweiht von selbsterwählten Götzen,
58Unzerbrüchlich ihrem Bunde treu,
59Treu der Liebe seligen Gesetzen,
60Lebt die Welt ihr heilig Leben frei;
61Einer, Einer nur ist abgefallen,
62Ist gezeichnet mit der Hölle Schmach;
63Stark genug, die schönste Bahn zu wallen,
64Kriecht der Mensch am trägen Joche nach.

65Ach! er war das göttlichste der Wesen,
66Zürn ihm nicht, getreuere Natur!
67Wunderbar und herrlich zu genesen,
68Trägt er noch der Heldenstärke Spur; –
69Eil, o eile, neue Schöpfungsstunde,
70Lächle nieder, süße güldne Zeit!
71Und im schönern, unverletzten Bunde
72Feire dich die Unermeßlichkeit.«

73Nun, o Brüder! wird die Stunde säumen?
74Brüder! um der tausend Jammernden,
75Um der Enkel, die der Schande keimen,
76Um der königlichen Hoffnungen,
77Um der Güter, so die Seele füllen,
78Um der angestammten Göttermacht,
79Brüder ach! um unsrer Liebe willen,
80Könige der Endlichkeit, erwacht! –

81Gott der Zeiten! in der Schwüle fächeln
82Kühlend deine Tröstungen uns an;
83Süße, rosige Gesichte lächeln
84Uns so gern auf öder Dornenbahn;
85Wenn der Schatten väterlicher Ehre,
86Wenn der Freiheit letzter Rest zerfällt,
87Weint mein Herz der Trennung bittre Zähre
88Und entflieht in seine schönre Welt.

89Was zum Raube sich die Zeit erkoren,
90Morgen stehts in neuer Blüte da;
91Aus Zerstörung wird der Lenz geboren,
92Aus den Fluten stieg Urania;
93Wenn ihr Haupt die bleichen Sterne neigen,
94Strahlt Hyperion im Heldenlauf –
95Modert, Knechte! freie Tage steigen
96Lächelnd über euern Gräbern auf.

97Lange war zu Minos ernsten Hallen
98Weinend die Gerechtigkeit entflohn –
99Sieh! in mütterlichem Wohlgefallen
100Küßt sie nun den treuen Erdensohn;
101Ha! der göttlichen Catone Manen
102Triumphieren in Elysium,
103Zahllos wehn der Tugend stolze Fahnen,
104Heere lohnt des Ruhmes Heiligtum.

105Aus der guten Götter Schoße regnet
106Trägem Stolze nimmermehr Gewinn,
107Ceres heilige Gefilde segnet
108Freundlicher die braune Schnitterin,
109Lauter tönt am heißen Rebenhügel,
110Mutiger des Winzers Jubelruf,
111Unentheiligt von der Sorge Flügel
112Blüht und lächelt, was die Freude schuf.

113Aus den Himmeln steigt die Liebe nieder,
114Männermut, und hoher Sinn gedeiht,
115Und du bringst die Göttertage wieder,
116Kind der Einfalt! süße Traulichkeit!
117Treue gilt! und Freundesretter fallen,
118Majestätisch, wie die Zeder fällt,
119Und des Vaterlandes Rächer wallen
120Im Triumphe nach der bessern Welt.

121Lange schon vom engen Haus umschlossen,
122Schlummre dann im Frieden mein Gebein! –
123Hab ich doch der Hoffnung Kelch genossen,
124Mich gelabt am holden Dämmerschein!
125Ha! und dort in wolkenloser Ferne
126Winkt auch mir der Freiheit heilig Ziel!
127Dort, mit euch, ihr königlichen Sterne,
128Klinge festlicher mein Saitenspiel!

(Aus: Haider, Thomas. A Large Annotated Reference Corpus of New High German Poetry. In: Proceedings of the 2024 Joint International Conference on Computational Linguistics, Language Resources and Evaluation (LREC-COLING 2024), S. 677–683, Torino, Italia. ELRA and ICCL. 2024.)

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Dieses Gedicht könnte aus folgender Literaturepoche stammen:
Author

Friedrich Hölderlin (1770-1843)

* 03/20/1770 in Lauffen am Neckar, † 06/07/1843 in Tübingen

männlich, geb. Q114498136

deutscher Lyriker (1770-1843)

(Aus: Wikidata.org)

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