Johann Gottfried Herder: 26. Der Wassermann (1773)
1» O Mutter, guten Rath mir leiht,
2Wie soll ich bekommen das schöne Maid?«
3Sie baut ihm ein Pferd von Wasser klar,
4Und Zaum und Sattel von Sande gar.
5Sie kleidet ihn an zum Ritter fein,
6So ritt er Marienkirchhof hinein.
7Er band sein Pferd an die Kirchenthür,
8Er ging um die Kirch dreimal und vier.
9Der Wassermann in die Kirch ging ein,
10Sie kamen um ihn, groß und klein.
11Der Priester eben stand vorm Altar:
12»was kommt für ein blanker Ritter dar.«
13Das schöne Mädchen lacht in sich:
14»o wär der blanke Ritter für mich!«
15Er trat über einen Stuhl und zwei:
16»o Mädchen gib mir Wort und Treu.«
17Er trat über Stühle drei und vier:
18»o schönes Mädchen zieh mit mir.«
19Das schöne Mädchen die Hand ihm reicht:
20»hier hast meine Treu, ich folg dir leicht.«
21Sie gingen hinaus mit Hochzeitschaar,
22Sie tanzten freudig und ohn Gefahr.
23Sie tanzten nieder bis an den Strand,
24Sie waren allein jetzt Hand in Hand.
25»halt, schönes Mädchen, das Roß mir hier!
26Das niedlichste Schiffchen bring ich dir.«
27Und als sie kamen auf 'n weissen Sand,
28Da kehrten sich alle Schiffe zu Land.
29Und als sie kamen auf den Sund,
30Das schöne Mädchen sank zu Grund.
31Noch lange hörten am Lande sie,
32Wie das schöne Mädchen im Wasser schrie.
33Ich rath euch, Jungfern, was ich kann:
34Geht nicht in Tanz mit dem Wassermann.
(Aus: Haider, Thomas. A Large Annotated Reference Corpus of New High German Poetry. In: Proceedings of the 2024 Joint International Conference on Computational Linguistics, Language Resources and Evaluation (LREC-COLING 2024), S. 677–683, Torino, Italia. ELRA and ICCL. 2024.)
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Dieses Gedicht könnte aus folgender Literaturepoche stammen:
Äußere Form
Sprachlich-inhaltliche Analyse
Johann Gottfried Herder (1744-1803)
* 08/25/1744 in Mohrungen, † 12/18/1803 in Weimar
männlich, geb. Herder
deutscher Schriftsteller, Übersetzer, Theologe und Philosoph
(Aus: Wikidata.org)
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