Annette von Droste-Hülshoff: Der Schloßelf (1844)

1In monderhellten Weihers Glanz
2Liegt brütend wie ein Wasserdrach'
3Das Schloß mit seinem Zackenkranz,
4Mit Zinnenmoos und Schuppendach.
5Die alten Eichen stehn von fern,
6Respektvoll flüsternd mit den Wellen,
7Wie eine graue Garde gern
8Sich mag um graue Herrscher stellen.

9Am Thore schwenkt, ein Steinkoloß,
10Der Pannerherr die Kreuzesfahn,
11Und courbettirend schnaubt sein Roß
12Jahrhunderte schon himmelan;
13Und neben ihm, ein Tantalus,
14Lechzt seit Jahrhunderten sein Docke
15Gesenkten Halses nach dem Fluß,
16Im dürren Schlunde Mooses Flocke.

17Ob längst die Mitternacht verklang,
18Im Schlosse bleibt es immer wach;
19Streiflichter gleiten rasch entlang
20Den Corridor und das Gemach,
21Zuweilen durch des Hofes Raum
22Ein hüpfendes Laternchen ziehet;
23Dann horcht der Wandrer, der am Saum
24Des Weihers in den Binsen knieet.

25„ave Maria! stärke sie!
26Und hilf ihr über diese Nacht!“
27Ein frommer Bauer ist's, der früh
28Sich auf die Wallfahrt hat gemacht.
29Wohl weiß er, was der Lichterglanz
30Mag seiner gnäd'gen Frau bedeuten;
31Und eifrig läßt den Rosenkranz
32Er durch die schwiel'gen Finger gleiten.

33Doch durch sein christliches Gebet
34Manch Heidennebel schwankt und raucht;
35Ob wirklich, wie die Sage geht,
36Der Elf sich in den Weiher taucht,
37So oft dem gräflichen Geschlecht
38Der erste Sprosse wird geboren?
39Der Bauer glaubt es nimmer recht,
40Noch minder hätt' er es verschworen.

41Scheu blickt er auf — die Nacht ist klar,
42Und gänzlich nicht gespensterhaft,
43Gleich drüben an dem Pappelpaar
44Zählt man die Zweige längs dem Schaft;
45Doch stille! In dem Eichenrund —
46Sind das nicht Tritte? — Kindestritte?
47Er hört wie an dem harten Grund
48Sich wiegen, kurz und stramm, die Schritte.

49Still! still! es raschelt über'n Rain,
50Wie eine Hinde, die im Thau,
51Beherzt gemacht vom Mondenschein,
52Vorsichtig äßet längs der Au.
53Der Bauer stutzt — die Nacht ist licht,
54Die Blätter glänzen an dem Hagen,
55Und dennoch — dennoch sieht er nicht,
56Wen auf ihn zu die Schritte tragen.

57Da, langsam knarrend, thut sich auf
58Das schwere Heck zur rechten Hand,
59Und, wieder langsam knarrend, drauf
60Versinkt es in die grüne Wand.
61Der Bauer ist ein frommer Christ;
62Er schlägt behend des Kreuzes Zeichen;
63„und wenn du auch der Teufel bist,
64Du mußt mir auf der Wallfahrt weichen!“

65Da hui! streift's ihn, federweich,
66Da hui! raschelt's in dem Grün,
67Da hui! zischt es in den Teich,
68Daß bläulich Schilf und Binsen glühn,
69Und wie ein knisterndes Geschoß
70Fährt an den Grund ein bläulich Feuer;
71Im Augenblicke wo vom Schloß
72Ein Schrei verzittert über'm Weiher.

73Der Alte hat sich vorgebeugt,
74Ihm ist als schimmre, wie durch Glas,
75Ein Kindesleib, phosphorisch, feucht,
76Und dämmernd wie verlöschend Gas;
77Ein Arm zerrinnt, ein Aug' verglimmt —
78Lag denn ein Glühwurm in den Binsen?
79Ein langes Fadenhaar verschwimmt,
80— Am Ende scheinen's Wasserlinsen!

81Der Bauer starrt, hinab, hinauf,
82Bald in den Teich, bald in die Nacht;
83Da klirrt ein Fenster drüben auf,
84Und eine Stimme ruft mit Macht:
85„nur schnell gesattelt! schnell zur Stadt!
86Gebt dem Polacken Gert' und Sporen!
87Viktoria! so eben hat
88Die Gräfin einen Sohn geboren!“

(Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.Aus: Haider, Thomas. A Large Annotated Reference Corpus of New High German Poetry. In: Proceedings of the 2024 Joint International Conference on Computational Linguistics, Language Resources and Evaluation (LREC-COLING 2024), S. 677–683, Torino, Italia. ELRA and ICCL. 2024.)

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Dieses Gedicht könnte aus folgender Literaturepoche stammen:
Author

Annette von Droste-Hülshoff (1797-1848)

* 01/10/1797 in Burg Hülshoff, † 05/24/1848 in Burg Meersburg

weiblich, geb. von Droste-Hülshoff

natürliche Todesursache - Lungenentzündung

deutsche Schriftstellerin und Komponistin

(Aus: Wikidata.org)

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