1Es stand in alten Zeiten ein Schloß, so hoch und hehr,
2Weit glänzt’ es über die Lande bis an das blaue Meer,
3Und rings von duft’gen Gärten ein blüthenreicher Kranz,
4Drin sprangen frische Brunnen in Regenbogenglanz.
5Dort saß ein stolzer König, an Land und Siegen reich,
6Er saß auf seinem Throne so finster und so bleich;
7Denn was er sinnt, ist Schrecken, und was er blickt, ist Wuth,
8Und was er spricht, ist Geißel, und was er schreibt, ist Blut.
9Einst zog nach diesem Schlosse ein edles Sängerpaar,
10Der Ein’ in goldnen Locken, der Andre grau von Haar;
11Der Alte mit der Harfe, der saß auf schmuckem Roß,
12Es schritt ihm frisch zur Seite der blühende Genoß.
13Der Alte sprach zum Jungen: „nun sey bereit, mein Sohn!
14Denk unsrer tiefsten Lieder, stimm an den vollsten Ton,
15Nimm alle Kraft zusammen, die Lust und auch den Schmerz!
16Es gilt uns heut, zu rühren des Königs steinern Herz.“
17Schon stehn die beiden Sänger im hohen Säulensaal
18Und auf dem Throne sitzen der König und sein Gemahl;
19Der König, furchtbar prächtig, wie blut’ger Nordlichtschein,
20Die Königin, süß und milde, als blickte Vollmond drein.
21Da schlug der Greis die Saiten, er schlug sie wundervoll,
22Daß reicher, immer reicher der Klang zum Ohre schwoll,
23Dann strömte himmlisch helle des Jünglings Stimme vor,
24Des Alten Sang dazwischen, wie dumpfer Geisterchor.
25Sie singen von Lenz und Liebe, von sel’ger goldner Zeit,
26Von Freiheit, Männerwürde, von Treu und Heiligkeit;
27Sie singen von allem Süßen, was Menschenbrust durchbebt,
28Sie singen von allem Hohen, was Menschenherz erhebt.
29Die Höflingsschaar im Kreise verlernet jeden Spott,
30Des Königs trotz’ge Krieger, sie beugen sich vor Gott,
31Die Königin, zerflossen in Wehmuth und in Lust,
32Sie wirft den Sängern nieder die Rose von ihrer Brust.
33„ihr habt mein Volk verführet, verlockt ihr nun mein Weib?“
34Der König schreit es wüthend, er bebt am ganzen Leib,
35Er wirft sein Schwerdt, das blitzend des Jünglings Brust
36durchdringt,
37Draus, statt der goldnen Lieder, ein Blutstral hochauf springt.
38Und wie vom Sturm zerstoben ist all der Hörer Schwarm,
39Der Jüngling hat verröchelt in seines Meisters Arm,
40Der schlägt um ihn den Mantel und setzt ihn auf das Roß,
41Er bindt ihn aufrecht feste, verläßt mit ihm das Schloß.
42Doch vor dem hohen Thore, da hält der Sängergreis,
43Da faßt er seine Harfe, sie aller Harfen Preis,
44An einer Marmorsäule, da hat er sie zerschellt,
45Dann ruft er, daß es schaurig durch Schloß und Gärten gellt:
46„weh euch, ihr stolzen Hallen! nie töne süßer Klang
47Durch eure Räume wieder, nie Saite noch Gesang,
48Nein! Seufzer nur und Stöhnen, und scheuer Sklavenschritt,
49Bis euch zu Schutt und Moder der Rachegeist zertritt!
50Weh euch, ihr duft’gen Gärten im holden Maienlicht!
51Euch zeig’ ich dieses Todten entstelltes Angesicht,
52Daß ihr darob verdorret, daß jeder Quell versiegt,
53Daß ihr in künft’gen Tagen versteint, verödet liegt.
54Weh dir, verruchter Mörder! du Fluch des Sängerthums!
55Umsonst sey all dein Ringen nach Kränzen blut’gen Ruhms,
56Dein Name sey vergessen, in ew’ge Nacht getaucht,
57Sey, wie ein letztes Röcheln, in leere Luft verhaucht!“
58Der Alte hat’s gerufen, der Himmel hat’s gehört,
59Die Mauern liegen nieder, die Hallen sind zerstört,
60Noch Eine hohe Säule zeugt von verschwundner Pracht,
61Auch diese, schon geborsten, kann stürzen über Nacht.
62Und rings, statt duft’ger Gärten, ein ödes Haideland,
63Kein Baum verstreuet Schatten, kein Quell durchdringt den
64Sand,
65Des Königs Namen meldet kein Lied, kein Heldenbuch;
66Versunken und vergessen! das ist des Sängers Fluch.