Nikolaus Lenau: Der Maskenball (1832)

1Wirres Durcheinanderwallen
2In den lichten Säulenhallen.
3Der Drommeten hell Gedröhne,
4Und der Geigen tolle Lieder
5Stürzen vom Gerüste nieder,
6Als ein Wildbach froher Töne;
7Von dem Strome leicht bezwungen
8Wird der Gäste bunte Menge,
9Wird vom seligen Gedränge
10Rascher Tänze schnell verschlungen.
11Blumen und Orangenbäume
12Blühen, duften rings im Saale,
13Mahnen, holde Frühlingsträume,
14Mich an ferne Blüthenthale,
15Wecken mit dem stillen Gruß
16Mir ein banges Hinverlangen,
17Hauchen ihren leisen Kuß
18Schönen Mädchen an die Wangen;
19Doch den Frohen, Ruhelosen,
20Weht nicht Sehnsucht in dem Hauche,
21Sind ja selber junge Rosen,
22Die entflogen ihrem Strauche;
23Flatternd in geliebten Tänzen,
24Dem Gewinde bald entbunden,
25Bald zu anmuthvollen Kränzen
26Von der Freude frisch gewunden;
27Können sinnend nicht verweilen,
28Müssen im Vergnügen eilen,
29Denn des Welkens Klage naht.
30Nie zu sühnender Verrath
31An der Blüthe Augenblicken
32Wäre jede trübe Säumniß.
33Seht, da schwebt mit trautem Nicken,
34Ein süß neckendes Geheimniß,
35Eine holde Maske her.
36Ach, wer bist du? sage, wer? —
37Lind und weich von heller Seide
38Ist dein schlanker Leib umfangen,
39Und vom amarantnen Kleide
40Leicht und luftig überhangen,
41Und du strahlst im Glanz des Goldes,
42Polenmädchen! wunderholdes!
43Schalkhaft kühn dein Käppchen sizt,
44Trotzend auf so schöne Stelle;
45Wie der Demantstern dir blizt
46Aus der Nacht der Lockenwelle!
47Wie die Perlen dich umschmiegen,
48Die dir froh am Halse liegen!
49Deine Reize still zu ehren,
50Haben sie sich dort vereinet.
51Hat ein Gott dir Freudezähren
52An den schönen Hals geweinet? —
53Doch betracht' ich dich genauer,
54Weiß ich nicht, wie mir geschieht,
55Rührst du mir das Herz zur Trauer,
56Und die heitre Deutung flieht.
57Mädchen, willst du in Symbolen:
58Weißem Nacken, Perlenschnüren,
59Uns das Trauerloos der Polen
60Mahnend vor die Seele führen?
61Zeigen uns im schönen Bilde
62Thränenvolle Schneegefilde?
63Ja, du kamst in dieses Haus,
64Leise strafend uns zu tragen
65In den schmerzvergessnen Braus
66Polens Glück aus alten Tagen,
67Daß wir seinen Fall bedenken,
68Und in Wehmuth uns versenken. —
69Abgewendet nun mit Schweigen,
70Schwindest du im dichten Reigen,
71Wie Polonia's Herrlichkeit
72Schwand im wilden Tanz der Zeit. —
73Masken kommen, immer neue:
74Hier ein Ritter mit der Dame,
75Spricht von seinem Liebesgrame,
76Und gelobt ihr seine Treue.
77Dort im härenen Gewande,
78Mit Sandal' und Muschelhut,
79Wie entrückt in ferne Lande,
80Ueber Berg' und Meeresfluth —
81Steht ein Pilger; seine Träume
82Säuseln ihm wie Palmenbäume,
83Zaubern ihn zum heil'gen Grabe,
84Seines Glaubens liebster Habe. —
85Seyd willkommen mir, Matrosen!
86Nehmt mich auf in eurem Schiffe!
87Frisch hinaus ins Meerestosen,
88Durch die fluthbeschäumten Riffe!
89Ha! schon seh' ich Möwen ziehn,
90Wetterwolken seh' ich jagen,
91Und die Stürme hör' ich schlagen.
92Süße Heimat, fahre hin!
93Nach der Freiheit Paradiesen
94Nehmen wir den raschen Zug,
95Wo in heil'gen Waldverliesen
96Kein Tyrann sich Throne schlug.
97Weihend mich mit stillem Beten,
98Will den Urwald ich betreten,
99Wandeln will ich durch die Hallen,
100Wo die Schauer Gottes wallen;
101Wo in wunderbarer Pracht
102Himmelwärts die Bäume dringen,
103Brausend um die keusche Nacht
104Ihre Riesenarme schlingen.
105Wo Leuchtkäfer, Miriaden,
106Um die Schlingeblumen fliegen,
107Die sich an die Bäume schmiegen,
108Auf des Blühens dunklen Pfaden
109Leuchten sie den Duftgewinden,
110Lehren sie den Wipfel finden. —
111Dort will ich für meinen Kummer
112Finden den ersehnten Schlummer,
113Will vom Schicksal Kunde werben,
114Daß es mir mag anvertrauen
115In der Wälder tiefem Grauen,
116Warum Polen mußte sterben.
117Und der Antwort will ich lauschen
118In der Vögel Melodeien,
119In des Raubthiers wildem Schreien,
120Und im Niagararauschen.

(Lenau, Nikolaus: Gedichte. Stuttgart, 1832.Aus: Haider, Thomas. A Large Annotated Reference Corpus of New High German Poetry. In: Proceedings of the 2024 Joint International Conference on Computational Linguistics, Language Resources and Evaluation (LREC-COLING 2024), S. 677–683, Torino, Italia. ELRA and ICCL. 2024.)

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Author

Nikolaus Lenau (1802-1850)

* 08/13/1802 in Lenauheim, † 08/22/1850 in Oberdöbling

männlich, geb. Lenau

österreichischer Schriftsteller (1802-1850)

(Aus: Wikidata.org)

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